Klimabilanz. Was bringt der CO2-Fußabdruck?
Immer mehr Molkereien fordern von ihren Lieferanten einen CO2-Fußabdruck. Doch der alleine macht noch keinen Klimaschutz. Wo Milchviehbetriebe heute schon einen Beitrag zu mehr Klimaschutz leisten und an welchen Stellschrauben noch gedreht werden kann, zeigen Birthe Lassen, Michael Danne und Maria Gentz.
Die Milchviehhaltung steht unter Druck: Um die Klimaziele der Bundesregierung zu erreichen, muss auch der Agrarsektor einen Beitrag leisten. Auch die abnehmende Hand schaut immer aufmerksamer auf die Treibhausgas-Emissionen aus der Landwirtschaft.
Etwa 40 % dieser Emissionen können der Milchviehhaltung über Verdauung, Wirtschaftsdüngerlagerung und Beweidung direkt zugewiesen werden. Hinzu kommen weitere aus dem Futterbau und der Nutzung organischer Böden. Deshalb ist der Handlungsdruck hier besonders hoch.
Gut geschätzt ist halb gemessen?
»Nur was man misst, kann man auch managen«. Dieses Motto gilt auch für die erzeugten Treibhausgase in den milchviehhaltenden Betrieben. Jedoch müssen Milchviehhalter häufig mit Schätzwerten arbeiten, wenn sie Daten in einen Treibhausgasrechner eintragen. Zum einen lässt die Bauweise von Milchviehställen, in denen die Kühe überwiegend mit direktem Kontakt zur Außenluft gehalten werden, keine direkte Messung von Treibhausgasen (THG) zu. Zum anderen werden für die Berechnung einige Daten benötigt, wie beispielsweise die Grundfuttererträge, die vielen Milcherzeugern nicht als detaillierte Messung vorliegen. Kritiker des CO2-Fußabdrucks sehen deshalb »ziemlich viel Schätzerei« und eine begrenzte Aussagekraft der Ergebnisse. Hinzu kommt, dass nicht alle Treibhausgasrechner gleiche Informationen, Emissionsfaktoren oder Schätzformeln heranziehen. Eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse unterschiedlicher Rechner ist somit nicht gegeben.
Einmal berechnet, ist der CO2-Fußabdruck trotzdem eine wichtige Orientierungsgröße, um die Entwicklung der CO2-Emissionen auf den Betrieben beurteilen zu können. Dabei darf jedoch nicht vergessen werden, dass nicht alle Werte vom Betriebsleiter beeinflussbar sind. Externe Faktoren können einen erheblichen Einfluss auf die Bilanzierungsergebnisse haben. Ein Beispiel: Bei gleicher Bewirtschaftung können günstige Witterungsverhältnisse zu besseren Futterqualitäten und -erträgen, zu einer höheren Milchleistung je Kuh und auch zu geringeren THG-Fußabdrücken je kg Milch führen. Veränderte Emissionsergebnisse – gerade in kurzen Zeitabständen gemessen – können also sowohl ein Ausdruck erfolgreicher Maßnahmen als auch vorteilhafterer externer Faktoren sein.
Der CO2-Fußabdruck ist erst einmal »nur« eine Zahl
Verbesserungspotentiale sowie spezifische Maßnahmen und deren Klimawirksamkeit lassen sich daran noch nicht identifizieren. Dafür ist es notwendig, einen Blick für die betriebsindividuellen Stellschrauben zu entwickeln, die einen Einfluss auf die Höhe der Emissionen haben. Dazu gehören vor allem das Nährstoffmanagement und die -ausbringung, eine bedarfsgerechte Fütterung, eine gute Tiergesundheit und, damit verbunden, eine lange Nutzungsdauer der Milchkühe, das Energiemanagement der Betriebe, die Flächenbewirtschaftung sowie eine niedrige Remontierungsrate. Also letztendlich Aspekte, die das tägliche Wirtschaften ausmachen (Grafik 1).
Klimabilanzierungen bisher wenig verbreitet
Die Ergebnisse aus dem QM-Nachhaltigkeitsmodul Milch zeigen: Klimabilanzierungen sind auf den befragten Betrieben bisher kein Standard. Etwa 10 % der teilnehmenden Milcherzeuger haben eine betriebliche Treibhausgasbilanz berechnet oder berechnen lassen (Stand September 2022). Dabei kamen sehr unterschiedliche Tools zum Einsatz. Insgesamt ergibt sich eine große Spannweite, auch schon innerhalb eines Tools: Während einige Betriebe teilweise nur etwa 0,5 kg CO2eq/kg Milch emittieren, sind es bei 5 % der Betriebe über 2,3 kg CO2eq/kg Milch.
Lange Nutzungsdauer und hohe Lebenstagsleistung: Die Aufzucht hat sich gelohnt?!
Die Milchkuh verursacht schon während der Aufzucht THG-Emissionen. Ebenso wie in betriebswirtschaftlichen Kalkulationen die Aufzuchtkosten später auf die erzeugten kg Milch verteilt werden, geschieht dies auch mit den Emissionen. Daraus ergibt sich folgender Zusammenhang: Je weniger Laktationen eine Kuh erreicht, desto wahrscheinlicher ist eine schlechte Klimabilanz je kg Milch. Die Aufzuchtemissionen belasten rein rechnerisch dementsprechend vor allem die erste(n) Laktation(en) und mit jeder weiteren Laktation sinken die Emissionen bezogen auf die Milchmenge. Dabei ist das Reduktionspotential in den ersten drei Laktationen besonders hoch. Ziel sollte es deshalb nicht nur aus ökonomischer, sondern auch aus ökologischer Sicht sein, Milchkühe mindestens drei Laktationen im Betrieb zu halten. Durchschnittlich verbleiben die Kühe im QM-Nachhaltigkeitsmodul Milch 3,6 Laktationen auf den Betrieben – das formulierte Mindestziel wird also erreicht.
Eine Kennzahl, die mit den beschriebenen Zusammenhängen in enger Verbindung steht, ist die Lebenstagsleistung. Sie stellt die gesamte erbrachte Milchleistung einer Kuh im Verhältnis zu ihrem Alter dar. Auch hier gilt grundsätzlich: Je höher der Wert, desto besser. Ergebnisse aus dem QM-Nachhaltigkeitsmodul zeigen, dass viele die Lebenstagsleistung ihrer Tiere jedoch nicht kennen. Während es bei den Milchrassen 40 % der Betriebe waren, kannten von den Betrieben mit Zweinutzungsrassen 75 % die Lebenstagsleistung nicht.
Tiergesundheit und Emissionen
Nutzungsdauer und Lebenstagsleistung werden maßgeblich von der Tiergesundheit beeinflusst. Studien zeigen deshalb auch einen Zusammenhang zwischen der Tiergesundheit und der Höhe der Emissionen. Bei kranken Tieren sinkt häufig die Futteraufnahme und auch die Milchleistung. Dies kann zu einem Anstieg der Emissionen je kg Milch führen. Etwa die Hälfte aller Betriebe im QM-Nachhaltigkeitsmodul Milch hat eine regelmäßige externe Bestandsbetreuung vertraglich vereinbart. Darüber hinaus werden in der Mehrheit der Betriebe die Klauen routinemäßig mindestens zweimal jährlich geschnitten und in fast allen Betrieben regelmäßige tierindividuelle Kontrollen auf Hautverletzungen oder Schwellungen durchgeführt. Dennoch gibt es auch im Bereich Tiergesundheit Optimierungsbedarf: Weniger als die Hälfte der Betriebe führt systematische tierindividuelle Lahmheitskontrollen durch oder analysiert monatlich die Stoffwechselprofile der Kühe, um frühzeitig Stoffwechselerkrankungen zu erkennen.
Fütterung
Gerade in Zeiten hoher Futterkosten hat die Frage »Wie viel Nährstoffe braucht meine Kuh, und wie viel Milch kann ich aus dem Grundfutter melken?« eine besondere Brisanz. Bisher führen aber nur 60 % der Befragten regelmäßige Rationsberechnungen durch. Noch weniger kennen ihre Grundfutterleistung oder wissen, wie viel Kraftfutter sie pro kg Milch einsetzen. Nur zwei Drittel der Betriebe analysieren mindestens einmal jährlich ihr Grundfutter. Sowohl ökonomisch als auch ökologisch ist hier Luft nach oben: Ein Zuviel an Nährstoffen in der Fütterung oder eine ungünstige Zusammensetzung kann die Gesundheit der Kühe beeinflussen und zu überdurchschnittlich hohen Nährstoffausscheidungen führen. Letztere können Boden, Klima und/oder den Geldbeutel der Betriebe belasten.
Blackbox Nährstoffmanagement?
Tatsächlich gibt es nicht nur Handlungspotential bei der Berechnung der Futterrationen, sondern auch beim Anfall und der Ausbringung tatsächlicher Nährstoffmengen. Die Hälfte der teilnehmenden Betriebe analysiert die Gülle seltener als alle zwei Jahre. Eine verschwindend geringe Anzahl (2 %) prüft vor jeder Gülleausbringung die Nährstoffgehalte. Anders sieht dies bei der Ausbringung von Gärresten aus der Biogasanlage aus. Hier kennen fast 80 % die tatsächlichen Nährstoffgehalte und jeder Fünfte analysiert vor jeder Gärresteausbringung den Nährstoffgehalt. Nicht zuletzt aufgrund der gestiegenen Düngerpreise und immer strengeren politischen Rahmenbedingungen gewinnt eine effiziente Düngung an Bedeutung. Es ist zu vermuten, dass dadurch die Aufmerksamkeit für die Inhaltsstoffe organischer Dünger weiter steigt. Auch die Düngeberatung, die immerhin auch schon fast die Hälfte der Betriebe in Anspruch nimmt, könnte einen Beitrag zur Treibhausgasreduktion leisten.
Für eine effiziente Nährstoffausnutzung ist die Art der Ausbringung der organischen Dünger klimarelevant, da die Menge an Emissionen je nach Ausbringungsform unterschiedlich hoch ist. Bodennahe Ausbringungsverfahren setzen 70 % der Betriebe ein. Jedoch wird der Großteil der Gülle (60 %) noch bodenfern ausgebracht.
Energiemanagement
Sonnenstrom äußerst beliebt. Ein Teil der Milcherzeuger ist schon länger energiebewusst unterwegs: Jeder Fünfte hat in den letzten fünf Jahren einen betrieblichen Energiecheck durchführen lassen und zwei Drittel der Betriebe setzten mindestens vier von sieben genannten Energiesparmaßnahmen um. Gleichzeitig erzeugen sie selbst regenerative Energie: mehr als die Hälfte der Teilnehmenden im eigenen Betrieb, einige wenige darüber hinaus noch in Gemeinschaftsanlagen. Der klare Fokus liegt auf dem Solarstrom. Weniger als 10 % der Betriebe bewirtschaften auch eine Biogasanlage. Wind- und Wasserkraftanlagen spielen kaum eine Rolle.
Grünland und Gehölze sind wichtige Kohlenstoffsenken
Neben der aktiven Reduzierung von klimaschädlichen Emissionen aus der Milcherzeugung leisten die Landwirte einen wichtigen Beitrag zum Erhalt von Kohlenstoffsenken. Knapp die Hälfte der bewirtschafteten Flächen sind (Dauer-)Grünlandflächen. Gleichzeitig ermöglichen Milcherzeuger die Bildung kohlenstoffbildender Blattmasse durch Feldgehölze und Hecken, Knicks oder Baumreihen.
Viele Forschungsfragen zum Humusaufbau und -erhalt sind aktuell allerdings offen, z. B. ob diese Maßnahmen »nur« zum Humuserhalt oder auch zum -aufbau und damit zur Bildung neuer Kohlenstoffsenken beitragen. So oder so sind sie elementar für den Klimaschutz.