Milchpreise. Durchschrittene Talsohle
Die Auszahlungspreise in der EU befanden sich 2023 über weite Strecken im Sinkflug. Aber von den zuletzt gestiegenen Notierungen für Standardprodukte geht die Hoffnung für steigende Erzeugererlöse aus. Das schwache Wachstum der Milcherzeugung kann zudem zu Rohstoffengpässen – und damit Preisspitzen – führen.
Im Jahr 2023 hat sich der globale Milchmarkt auf einem schmalen Grat zwischen einem begrenzten Zuwachs der Milchproduktion und einer schleppend verlaufenden Nachfrage bewegt. Die Hoffnung auf zunehmende Käufe Chinas am Weltmarkt war vergebens, das dortige
Milchaufkommen wuchs stärker als erwartet und der Importbedarf blieb auch dieses Jahr merklich hinter den Erwartungen zurück. Aus der Kaufzurückhaltung des größten Abnehmers resultierten insgesamt eher schwache internationale Produktpreise – und damit letztlich Druck auf die Erzeugererlöse in weiten Teilen der Welt. Wie sind die Perspektiven für 2024?
Es gibt immer mehr Anzeichen dafür, dass die Talsohle auf den Märkten für Molkereierzeugnisse durchschritten ist. Davon ist zumindest die niederländische Rabobank in ihrem Ausblick auf die kommenden Monate überzeugt. Diese Annahme fußt auf der Erwartung einer in den meisten Exportregionen nur langsam wachsenden Milchproduktion im Jahr 2024. Zudem sind die Lagerbestände in den Exportregionen zwar komfortabel, aber nicht belastend. Angesichts der strukturellen Schwäche des Produktionswachstums in einigen Exportregionen (wie der EU) sind Angebotsengpässe möglich.
In Neuseeland fiel das Milchaufkommen zum Saisonhöhepunkt im Oktober zum dritten Mal in Folge (geringfügig) kleiner aus als das Jahr davor. Für die ersten fünf Monate der aktuellen Saison 2023/24 steht zum Vorjahr ein Minus um 0,7 %, das sind rund 50 000 t. Zum Vergleichswert des Rekordjahres 2020/21 fehlen fast 8 %. Nun wandert der Blick am Markt Richtung Nordhalbkugel, wo der saisonale Produktionsaufschwung in der ersten Jahreshälfte 2024 ansteht.
Umgekehrte Vorzeichen in der EU. Vor einem Jahr zeigten sowohl die Produktions- als auch Preisentwicklung in den Mitgliedstaaten nach oben. Zuletzt hat sich die Lage ins genaue Gegenteil verkehrt. Nachdem die Milcherzeugung EU-weit von Juni bis August auf der Vorjahreslinie tanzte, fiel sie im September hinter den Vergleichswert des Jahres 2022 zurück. Das genügte, das Rohmilchaufkommen im 3. Quartal um 85 000 t hinter den Vorjahreswert zurückfallen zu lassen. Die bei Redaktionsschluss vorliegenden Daten lassen auch für Oktober eine Anlieferung in einem engen Bereich um den Vorjahreswert erwarten. Irland verzeichnete in diesem Monat gegenüber dem Vorjahr ein Minus von 13 %, die Anlieferung in Deutschland fiel auf die Vorjahreslinie zurück. Für Frankreich steht bereits seit Jahresbeginn
ein Minus vor den monatlichen Produktionsdaten, für Italien gilt das seit Juni. Die Notierungen für Standardprodukte wie Milchpulver und Butter, die sich bis in den Spätsommer hinein auf dem Rückzug befanden, weisen seit dem Herbst stabilere Tendenzen auf. Butter verzeichnete sogar deutliche Zugewinne, das Vorjahresniveau liegt aber auch hier in weiter Ferne.
Die Erzeugerpreise in der EU beendeten im September den zum Jahreswechsel begonnenen Sinkflug. Seitdem stabilisierte sich der EU-Durchschnittswert bei 44,4 Ct/kg – das ist fast ein Viertel weniger als vor einem Jahr. In Deutschland liegt das Minus sogar bei 30 %. Der Rückfall der Milcherzeugung unter das Vorjahresniveau sowie die Stabilisierung beziehungsweise die Zugewinne bei den Produktpreisen
werden sich in den kommenden Monaten auch in den Erzeugerlösen widerspiegeln. Dass der Rohstoff Milch zunehmend gesucht ist, belegen die seit August im Aufwärtstrend befindlichen Spotpreise. Diese erreichten im italienischen Lodi zuletzt 56,5 Ct/kg – rund 12 Ct mehr als in der Vorsaison.
Mit Blick auf Entwicklung der Milchproduktion in der EU rechnet die Rabobank für das erste Halbjahr 2024 mit einem Minus von 0,4 bis 0,5 %, dass sich im weiteren Verlauf zunehmend verringern soll. Zum Vergleich: Die EU-Kommission prognostiziert, dass die Anlieferungen an die Molkereien in der EU 2024 um 0,6 % (rund 0,8 Mio. t) zunehmen werden. Vor dem Hintergrund des anhaltenden Kostendrucks bedarf es dafür aber eines deutlichen Anstiegs der Auszahlungspreise.
Der Blick in die Glaskugel. Der EU-Milchsektor sah sich in der jüngeren Vergangenheit zahlreichen Herausforderungen gegenüber. Auf die Corona-Pandemie folgten geopolitische Spannungen, die hohe Kostensteigerungen für Energie, Futter, Dünger und Logistik nach sich zogen. Hohe Zinssätze bremsen Produktivitätssteigerungen und notwendige Investitionen aus. Gleichzeitig wächst der Druck auf die Tierhaltung, einen größeren Beitrag zur Erreichung ehrgeiziger nationaler und EUweiter Umweltziele zu leisten und die Tierschutzstandards weiter zu erhöhen.
Daraus folgt für die EU-Kommission, dass sich die Milchviehhaltung in der Union künftig ändern wird. Das bedeutet nicht nur einen beschleunigten Abbau der Kuhzahlen (alle fünf Jahre um 1 Million Tiere), sondern auch eine Halbierung der jährlichen Zuwächse bei der Milchleistung auf knapp 1 %. Aus all dem leiten die Brüsseler Analysten eine strukturelle Schrumpfung der EU-Milcherzeugung im kommenden Jahrzehnt ab.