Die Provinz Alberta lockt mit ihren guten Bedingungen
für die Milchproduktion auch Europäer nach Kanada.
Doch selbst dort ist nicht alles Gold, was glänzt.
Christian Mühlhausen hat zwei Betriebe besucht.
Von den Rocky Mountains bis in die Prärien – Albertas Agrarwirtschaft ist vielfältig und lockt Landwirte aus aller Welt nach Kanada. So verschieden wie die Landschaft und die einzelnen Klimaräume sind, so unterschiedlich sind auch die Betriebsausrichtungen. Wir haben zwei Milchviehbetriebe besucht.
Dieter Gagelmans
Kanada war sein großer Traum, doch Dieter Gagelmans, der aus der belgischen Region Flandern stammt, brauchte eineinhalb Jahre, um eine Arbeitserlaubnis zu bekommen. Als er diese endlich hatte, arbeitete er auf einem Milchviehbetrieb in Alberta, bis er sich auf seinem Betrieb nahe Millet südlich von Edmonton einkaufte. Solch eine Kooperation war dort bis dato relativ unbekannt. »Mein Geschäftspartner ist erst etwas über 50 Jahre alt, hat keinen Nachfolger und keine Lust, das Unternehmen alleine weiterzuführen«.
Dieter Gagelmans kümmert sich mit seiner Frau Miriam um die praktische Arbeit, während sich der Alteigentümer allmählich aus dem operativen Geschäft zurückzieht. »Wir melken jetzt etwa 115 Kühe«, sagt Gagelmans. Geplant war, innerhalb weniger Jahre auf 300 Tiere aufzustocken und einen neuen Stall zu bauen. Aber er änderte seinen Kurs in »weniger ist mehr«. Sein Ziel: den Umsatz stabil halten, die Kosten senken, die Gewinne steigern und so unabhängiger werden von Betriebsmitteln und Dienstleistern. »Sehr viele Milchviehbetriebe wachsen und spezialisieren sich – die Zahlen geben ihnen häufig recht, aber es macht sie auf lange Sicht anfälliger und es wird schwieriger, die Höfe an die nächste Generation zu übergeben. Wir sind noch jung, aber ich mache mir schon Gedanken, wie das Unternehmen in 25 Jahren aussehen wird, wenn ich es übergeben werde«, sagt er.
Für die Milch werden aktuell umgerechnet etwa 63 Ct pro kg Milch ausgezahlt. Die Molkerei zieht monatlich umgerechnet 7 000 € für das in der Milch enthaltene Wasser ab. Deshalb wertet Gagelmanns nach jeder Milchkontrolle jede Kuh detailliert aus: »Es sieht auf dem Papier gut aus, wenn eine Kuh 75 kg Milch pro Tag produziert. Sie verdient aber bei 2,2 % Fett damit nur 23 $. Eine andere Kuh, die 32 kg bei 6 % Fett liefert, bringt derzeit 43 $ täglich.« Er bevorzugt die zweite Kategorie Kühe und legt bei der Zucht Wert auf die Milchinhaltsstoffe. Die Rinder sind genomisch getestet und er arbeitet selektiv mit gesextem Sperma.
Die Futtergrundlage ist mit grasbasiertem Grundfutter ein zweiter Baustein für eine hohe Milchleistung. »Wir wollen versuchen, dass vier bis fünf Monate im Jahr 30 % der Trockenmasseaufnahme des Futters aus Ackergrasmischungen kommt. Deshalb weiden die Kühe nachmittags und wir stellen den Weidezaun jede Stunde vor, um ihnen stets frisches Gras bereitzustellen.« Nachmittags werde der Zucker durch die Photosynthese am effektivsten abgebaut. Das komme der Verdauung und damit der Milchproduktion zugute.
In Alberta lässt kaum ein Betrieb seine Milchkühe weiden und über 50 % Kraftfutter in der Ration sind keine Seltenheit. »Manche Kollegen halten uns für verrückt, aber ich glaube an das System. Die Weidehaltung ist für die Kühe gesünder und senkt die Kosten.« Bisher hatte nur das Jungvieh Weidegang, aber ab diesem Frühjahr sollen auch die Kühe raus dürfen.
Die Milchproduktion (derzeit 35 kg Kuh/Tag bei 4,2 % Fett und 3,1 % Eiweiß) werde voraussichtlich leicht zurückgehen, prognostiziert er, und am Anfang werde das System sowohl für die Kühe als auch für die Menschen noch etwas gewöhnungsbedürftig sein.
Der kanadische Milchsektor
Gagelmans und Schrijver sind zwei von noch rund 500 Milchviehbetrieben in Alberta, in ganz Kanada sind es etwa 9 700. Die durchschnittliche Betriebsgröße beträgt 100 Kühe, die Unterschiede zwischen den Regionen sind sehr groß. Kanada arbeitet mit einem Quotensystem und einem jährlich festgelegten Milchpreis. Dieser wird auf Basis von Einstandspreisberechnungen in der Regel jährlich bei mehreren Hundert Unternehmen ermittelt. Die gesamte nationale Quote und Milchproduktion beträgt 9,3 Mrd. kg pro Jahr.
Der Grund für das Quotensystem ist vor allem, dass mehr als 80 % der Produktion für den Inlandsverbrauch bestimmt sind. Milchexporte sind vor allem aufgrund des hohen Preises selten. Die Grundstückspreise variieren stark je nach Region. In Alberta müssen Milchbauern oft mehr als 20 000 €/ha bezahlen. Grundstücke werden eigentlich immer nur pro »Quatermeile« verkauft, eine Fläche von umgerechnet rund 65 ha. Auch die Quoten sind teuer; die Preise variieren je nach Provinz zwischen 34 000 und über 40 000 € pro Kuh.
Der Großteil der 350 ha Fläche ist mittlerweile mit gras-kräuterbasierten Grünfutter-Mischkulturen bestellt. Dort wächst eine Mischung aus Chicorée, Klee, Hafer, Erbsen und italienischem Weidelgras. »Wir düngen ausschließlich mit 45 m3 Gülle. Der Ertrag im ersten Jahr ist vergleichbar mit Silomais, die Kosten sind aber deutlich geringer.«
Natürlich ist es gut, dass die Mischkulturen wachsen und der Aufwuchs einen wirtschaftlichen Ertrag bringt. Das eigentliche Ziel aber sei, auf einem gesunden und widerstandsfähigen Boden zu arbeiten. Es werde mehrere Jahre dauern, bis man echte Ergebnisse bei der Bodenverbesserung sehe, aber Gagelmans glaubt daran: »Obwohl wir dort derzeit mehr Unkraut als bisher sehen, weil wir die Bestände nicht mehr chemisch behandeln. Man muss lernen, damit umzugehen, auch mental«.
Ganz ohne Pflanzenschutzmittel funktioniert es allerdings doch nicht. Die strengen Winter mit oft wochenlangen Temperaturen von – 40 °C führen dazu, dass die Bestände auswintern. Dann ist eine Nachsaat erforderlich. Gagelmans pflügt nicht mehr, setzt stattdessen auf minimale Bodenbearbeitung und Glyphosat-Einsatz. »Darüber bin ich nicht glücklich«, sagt er, »denn ich weiß, dass es nicht wirklich in das regenerative Bild passt. Aber in unserem Klima sehe ich keine Chance, darauf zu verzichten.«
Zu den Herausforderungen bei der Milchviehhaltung und im Ackerbau kommt noch die Personalsituation: »Wir haben derzeit nicht viel Freizeit. Das muss sich langfristig ändern«, sagt Gagelmans. Um die Arbeitskräfte flexibler einsetzen zu können, setzt der Betrieb jetzt auf Melkroboter. Mittelfristig träumt er von dem Verkauf von Milchprodukten aus der eigenen Landwirtschaft: »Ich möchte so unabhängig wie möglich agieren.
Dann können wir auch besser auf die Wünsche der Verbraucher eingehen. Ich glaube, dass dies die Richtung ist, in die sich die Milchwirtschaft bewegt. Hier in Kanada hört man noch häufiger als in Europa, dass wir Landwirte die Welt ernähren müssen. Das sehe ich anders: Wir ernähren die Menschen in unserer Gemeinde. Und das ist etwas anderes als die der ganzen Welt.«
Gert Schrijver
Gert Schrijver genießt auch über die Grenzen der kanadischen Provinz Alberta hinaus großen Respekt. Denn der Betrieb des aus dem niederländischen Zwolle stammende Landwirts gehört zu den Spitzenbetrieben in ganz Kanada. Seine 300-köpfige Milchviehherde produziert durchschnittlich 14 000 kg Milch pro Kuh und Jahr mit 4,2 % Fett und 3,15 % Eiweiß.
»Das ist das Schöne am kanadischen Milchsystem«, sagt Gert Schrijver. »Die Regierung weiß, dass unser System des Marktschutzes sie am wenigsten kostet. Kanada hat immer noch ein Quotensystem und daher einen geschützten Milchmarkt mit relativ hohen Milchpreisen. In den USA gibt die Regierung jährlich 100 Mio. Dollar für eine verschleierte Einkommensunterstützung der Landwirte durch alle Arten von Subventionen und Programmen aus«. Kanada verfüge nicht über ein solches Budget und trotzdem funktioniere das System: »Als Milchbauern bekommen wir einen guten Preis, aber die Produkte im Supermarkt sind hier oft nicht oder kaum teurer als in anderen Ländern.«
Schrijver ist auch Vorstandsmitglied der Dairy Farmers of Canada (DFC), dem einflussreichen Handelsverband, bei dem alle kanadischen Milchbauern verpflichtend Mitglied sind. »Sie haben sonst keine andere Möglichkeit, Milchquoten zu bekommen und zu behalten«, sagt er. Die Organisation verhandelt mit der Regierung und betreibt Öffentlichkeitsarbeit. »Natürlich sind nicht alle Milchproduzenten immer einer Meinung. Aber wenn es um Politik und Gesellschaft geht, können wir Kanadier mit einer Stimme sprechen.
Schrijver ist heute hauptsächlich als Verbandsvertreter aktiv, aber das war vor etwa dreißig Jahren anders. Nachdem er als Student in Kanada gearbeitet hatte, kam er 1994 wieder und zog 1995 mit seiner Frau Sonja nach Alberta, wo er in der Nähe von Stettler eine Farm mit 50 Kühen übernahm. In den ersten acht Jahren erledigten die Schrijvers alle Arbeiten gemeinsam und vergrößerten den Betrieb auf 100 Milchkühe. Dann wurde der erste Mitarbeiter eingestellt, ein Brite. »Er ist jetzt seit 20 Jahren bei uns und unser Manager. Wir beschäftigen fünf Vollzeitmitarbeiter, drei davon kommen von den Philippinen. Wir bieten ihnen eine Unterkunft, einen angemessenen Lohn und ganz wichtig: eine zusätzliche Krankenversicherung. Das ist hier kein Standard. Die Mitarbeiter sind wirklich Teil des Teams. Einer von ihnen ist z. B. jetzt für einen Monat auf die Philippinen zurückgekehrt und ich bezahle seine gesamte Reise.«
Das Unternehmen ist im Laufe der Jahre auf rund 300 Kühe gewachsen, von denen etwa 270 dreimal täglich den 2x12-Melkstand mit Schnellaustrieb passieren. »Die Leistungssteigerung ist vor allem das Ergebnis unserer Managementoptimierung«, sagt Schrijver, »die Tiere haben viel Platz, laufen auf Gummi und liegen in geräumigen Tiefbuchten mit Sandeinstreu. »Wir halten trockenstehende Kühe vollständig auf Stroh und alle Kühe bleiben nach dem Abkalben noch eine weitere Woche dort«, erklärt er.
Die Milchviehration besteht zu 60 % aus Raufutter mit Sommergerstensilage (350 ha) als Basis. »Sommergerste können wir im Frühling nach unseren strengen Wintern säen und dann Mitte August gut ernten. Wir bauen keinen Mais an. Das ist hier zwar möglich, allerdings besteht im August ein hohes Dürrerisiko und dann leidet der Ertrag.« Für den Grasanbau sei es fast immer zu trocken, stattdessen hat der Betrieb 65 ha Luzerne. Hauptkomponente der Ration für das Milchvieh ist Silage aus Sommergerste und Luzerne. Sie werden im Futtermischwagen mit einer Mischung aus eiweißreichen Komponenten ergänzt. Schrijver sagt, er habe kein Problem mit den kalten Wintern, die Temperatur sinke fast jedes Jahr für einige Wochen auf – 40 °C. »Die Ställe sind dafür gebaut und die Kälte ist anders als in Europa.
Zucht auf niedrigen Methanausstoß. Früher hat der Betrieb stark auf große, hochproduktive Kühe gesetzt. »Die Zucht auf Milchleistung bleibt wichtig, aber mittlerweile lege ich hauptsächlich wert auf Fettgehalt und Gesundheitsmerkmale.« Schließlich basiere der Milchpreis im Durchschnitt zu 90 % auf dem Fettanteil. Auf ein neues Merkmal, das seit April 2023 auf den kanadischen Bullencharts steht, blickt er noch mit Skepsis: der Zuchtwert für niedrige Methanemissionen. Denn dort schneiden bislang nicht die Bullen am besten ab, die bei anderen Merkmalen dominieren. Deshalb verwendet Schrijver dieses Kriterium noch nicht bei der Bullenwahl. »Aber langfristig werden wir das tun«. Das Thema Methanausstoß ist auch für ihn als Lobbyist wichtig. Denn er verfolgt das vom DFC selbst auferlegte Ziel, dass der kanadische Milchsektor bis 2050 CO2-neutral wird. In Europa warte man oft auf die Vorgaben der EU oder der Regierungen und streite dann mit ihnen. In Kanada sei das umgekehrt: »Wir legen als Interessenvertretung ein Ziel fest und bitten die Regierung, uns bei dessen Erreichung finanziell zu unterstützen. Das macht sich bezahlt.« Auch wenn Schrijver diese gesetzten Ziele positiv beurteilt, bedeutet das nicht, dass alle kanadischen Milchbauern mit den CO2-Zielen zufrieden sind. »Aber die Mehrheit der Mitglieder unterstützt den Vorstand in seinem Vorgehen. Wenn Europa seine Nachhaltigkeitsziele fortsetzt und die Milchproduktion reduziert, wird der Rest der Welt auf Kanada hoffen. Ich befürchte, dass sich unsere Regierung dadurch gezwungen fühlen könnte, unser geschütztes Marktsystem aufzugeben«, ist Schrijver besorgt.
Kanada ist ein kapitalintensives Land und für Neuankömmlinge ist der Einstieg in die Milchproduktion teuer. Herausforderungen liegen laut Schrijver neben den immer teureren Flächen und Quoten auch im Engagement für Nachhaltigkeit und Tierschutz. Anbindeställe seien zum Beispiel in Quebec und Ontario noch üblich, aber diese Milchviehhalter seien verpflichtet, ihre Kühe weiden zu lassen. »In zehn bis 15 Jahren wird dieses Stallsystem vollständig verboten sein«, schätzt Schrijver. Und weiter: Es gebe bislang noch keine tatsächliche Erfassung des Düngemittelverbrauchs wie in Europa, aber auch das werde irgendwann kommen. Bereits jetzt gebe es deutlich strengere Kontrollen bei Antibiotikaeinsatz und Lahmheit mit empfindlichen Strafen bei Verstößen.
Welche Herausforderungen sieht Schrijver für seinen Betrieb? »Wir haben in Land investiert, das scheint sich auszuzahlen. Ich werde versuchen, das Unternehmen weiter zu optimieren. Wenn unsere älteste Tochter Megan den Betrieb übernehmen möchte und sich für einen neuen Stall mit Melkrobotern entscheidet, werde ich sie dabei unterstützen. Aber solche Großinvestitionen tätige ich nicht mehr für uns. Auch in Kanada wird sich das in zehn bis 15 Jahren nicht amortisieren.«