Milchviehhaltung. Smart unterwegs im Stall
Automatisierung und Sensortechnik sind im Milchviehbetrieb schon lange nicht mehr wegzudenken. Zunehmend klappt auch die Vernetzung der Systeme besser. Der Trend geht zu Künstlicher Intelligenz und cloudbasierten Lösungen.
Im Vergleich zu anderen Tierarten sind für die Rinderhaltung mit Abstand die meisten Sensorsysteme auf dem Markt. Dadurch fallen im Milchviehstall täglich zahlreiche Daten an. Leistungsdaten der Milchproduktion, der Ernährung, der Reproduktion und der Tiergesundheit stehen den Betrieben zur Verfügung und müssen ausgewertet werden. Dementsprechend sind für die Milchviehhalter
nicht nur Kennwerte über die Produktionsleistung, die Gesundheit, den Fruchtbarkeitsstatus und das Tierverhalten verfügbar, sondern ebenso Daten der technischen Anlagen, mit denen Prozesse wie z. B. der Tierverkehr gesteuert werden können.
Intelligente Überwachung
Autonom melken und füttern, Gülle aufnehmen und Futter anschieben – das haben die Milchviehhalter schätzen gelernt, entlastet es sie doch in ihren täglichen Arbeitsabläufen. Stark weiterentwickelt wurde in letzter Zeit der Bereich der intelligenten Tierüberwachung.
Mit Kameras lassen sich verschiedene, auch unerwünschte Verhaltensweisen, schnell erkennen. Aufkommende Probleme können so kurzfristig behoben werden. Ortungssysteme im Stall ermöglichen es zu jeder Sekunde des Tages, den Standort der Kühe im Stall zu verfolgen. Es unterstützt den Landwirt dabei, Kühe zu finden, die seine Aufmerksamkeit benötigen. Echtzeitinformationen landen nicht im Herdenmanagementprogramm, sondern auch auf dem Smartphone des Landwirts oder Herdenmanagements und helfen, die Aufgabenlisten effizienter zu verwalten. Immer mehr Systeme, die mit einer KIbasierten Software arbeiten, werden im Kuhstall genutzt.
Stallklima
Bei der Beurteilung des Stallklimas erfolgt die Überwachung der Daten in Echtzeit. So wird das Aufrechterhalten optimaler Stallklimaverhältnisse mit angepasstem Luftmassenaustausch und der Wärmeregelung ermöglicht – unabhängig von der Witterung, den tierischen und technischen Emissionen. Digitale Regler liefern die exakten Werte, auf die die Anlage sofort reagieren kann. Im Wesentlichen wird das Stallklima von den Faktoren Lufttemperatur, Luftfeuchtigkeit, -geschwindigkeit und Schadgas- Konzentrationen bestimmt. Hinsichtlich der Schadgase spielt Ammoniak eine große Rolle. Schon geringe Konzentrationen wirken sich reizend auf die Schleimhäute der Atemwege sowie auf die Augenbindehaut aus. Ab 30 ppm Ammoniak in der Stallluft ist von gesundheits- und leistungsbeeinträchtigenden Wirkungen auszugehen. Die Emissionen lassen sich hier mittels spezifischer Gassensoren, die Strom generieren, der proportional zur Gaskonzentration ist, messen.
Wie sich Milchviehhalter entscheiden
Die Nutzung digitaler Hilfsmittel braucht Einarbeitung, Fachwissen und Zeit. Nicht jedes System passt zu jedem Milchviehhalter. Sie
ändern weder die Natur der Kühe noch die der Milchviehhalter, verändern aber unter Umständen die Form der Zusammenarbeit im
Betrieb zwischen Tier und Milchviehhalter. Denn digitale Hilfsmittel sind kein Ersatz für die Arbeit des Milchviehhalters, aber eine
sinnvolle Ergänzung und Unterstützung. Bei sachgerechter und tierindividueller Anwendung der Technik können die Tiergesundheit
verbessert, der Medikamenteneinsatz vermindert und Krankheitskosten verringert werden – unabhängig von der Herdengröße. Der Einsatz digitaler Techniken hat das Potential, zukünftig eine Schlüsselrolle zur Steigerung des Tierwohls sowie zur Zufriedenheit des Halters einzunehmen. Welche Überlegungen sollte der Landwirt anstellen, wenn er sich für ein System entscheidet:
- Welchen Vorteil bringt das System (genauer, schneller, günstiger …)?
- Kompatibilität zu möglichst vielen anderen Systemen (viele Schnittstellen)?
- Komplexität – versteht man was passiert?
- Kundenfreundlicher Service?
- Testbetriebsoption auf Zeit erfragen.
- Produkt auf anderem Betrieb anschauen.
- Hersteller-Feedbacks vergleichen.
- Schulungsangebote?
- Kritisch sein (z. B. Datenfluss/Datenhoheit).
Entscheidend ist auch die Benutzerfreundlichkeit. Milchviehhalter und Tierärzte müssen ohne aufwendige Rüst- oder Suchzeiten mit den Informationssystemen umgehen können und bei Problemen und Fragen einen guten Anbieterservice vorfinden.
Aus dem DLG-Merkblatt 466 »Digitale Anwendungen für das Herdenmanagement in der Milchviehhaltung«
Tierindividuelle Daten
Das tierindividuelle Monitoring ist in der Milchviehhaltung weit fortgeschritten. Auf elektronische Transponder zur Einzeltiererkennung folgten schon vor vielen Jahren Sensoren für die Erkennung verschiedener Erkrankungen (Euter-, Klauenerkrankungen und Stoffwechselstörungen) sowie für die Detektion des Brunstverhaltens. Die automatische Erfassung und Analyse der Milchmenge, -inhaltsstoffe und -qualität gibt wichtige Informationen zum Leistungspotential jeder einzelnen Kuh und ermöglicht das frühzeitige Erkennen von Eutererkrankungen.
Gesundheitsdaten
Die Aktivitätsmessung, die Erfassung der täglichen Wiederkauzeit oder die Bestimmung diverser physiologischer Parameter wie der pH-Wert im Pansen oder die Körpertemperatur machen die Kuh immer »gläserner«. Teilweise eignen sich dieselben Systeme, z. B. die Bestimmung der täglichen Wiederkauzeit, für die Erkennung mehrerer Aspekte, wie z. B. die Entdeckung von Stoffwechselerkrankungen, das Erkennen der Brunst oder die Vorhersage des Kalbetermins.
Klimabilanz und Haltungsform
Dokumentation. Jeder ist sich zunächst selbst der Nächste, auch bei der betriebsinternen Datenerfassung und -nutzung. Aber Automatisierung und Sensoren helfen auch dabei, Anforderungen von »außen« zu erfüllen und können Zeit und Nerven sparen. Wer an eine Molkerei liefert, die Zuschläge für die Ermittlung des CO2-Fußabdrucks zahlt, ist dankbar, wenn er viele der erforderlichen Angaben aus dem Ärmel schütteln kann, weil er sie sowieso für sein Herdenmanagement erfasst und auswertet.
Das Gleiche gilt für die Audits zur Haltungsformstufe. Wenn die Fragebögen für das DLG-Tierwohllabel oder QM+++ zu Haltung,
Tiergesundheit, Arzneimittelmonitoring, Futtermittel und Management ausgefüllt werden müssen, ist es eine immense Erleichterung, wenn die nötigen Informationen bereits digital vorliegen.
Vernetzung
Die Vielzahl der technischen Überwachungsmöglichkeiten im Kuhstall ist noch immer – durch die vielen Hersteller und Anbieter – häufig nicht miteinander kompatibel. Das heißt, dass eine sinnvolle und notwendige Verknüpfung der Datenflut oft nicht möglich ist. Vielfach fehlen Schnittstellen und »Data Lakes« (Daten-Seen). Ohne solche Tools werden künftig umfangreichere Auswertungen und Analysen nur schwer umsetzbar sein, denn die Menge an digital verfügbaren Daten dürfte sich alsbald schon verdoppeln. Insellösungen
sind dann erst recht problematisch und für doppelte Dateneingaben fehlt dem Landwirt die Zeit.
Ein standardisierter Datenaustausch ist die Voraussetzung dafür, dass alle im Herdenmanagement verbundenen Systeme die erhobenen Sensordaten nutzen können. Nur so kann gewährleistet werden, dass vernetzte tierindividuelle Sensorsysteme belastbare Informationen als Entscheidungsgrundlage liefern. Die Digitalisierung, die Vernetzung und vorhandene Schnittstellen generieren nur so einen Mehrwert für Mensch und Tier.
Digitalisierung ist kein Selbstläufer. Die Systeme erfassen Daten, aber leiten nicht automatisch die richtige Empfehlung ab und handeln auch nicht selbstständig. Einzeltierbezogene Sensordaten machen eine Kuh weder trächtig noch satt oder gesund. Die Milcherzeuger müssen Daten in eigener Verantwortung auswerten und daraus möglichst sachgerechte Handlungen veranlassen. Erhebungen haben gezeigt, dass es individuelle Motive und Erwartungen von Landwirten gibt, sich mit Assistenzsystemen und digitaler Unterstützung in ihrem Betrieb zu befassen. Durch Befragungen von Landwirten und den Austausch mit Beratern haben sich vier Schwerpunkte
herausgestellt, die immer wieder genannt werden:
- Verbesserung der Arbeitssituation,
- Informationssuche und -bereitstellung,
- Prozessüberwachung und -optimierung (auch in Bezug auf Tierwohlindikatoren),
- Steigerung der Wirtschaftlichkeit.
Datenspeicherung. Zur sinnvollen Nutzung von Daten gehört auch ihre Speicherung. Das kann aber durchaus Risiken bergen. Der Landwirt sollte immer die Datenhoheit für seine betrieblichen Daten besitzen. Ihre Sicherung sollte auf mehreren, physikalisch getrennten Speichern erfolgen, damit sie bei einem Geräteausfall aus einer anderen Quelle wiederhergestellt werden können. Datensicherungen sollten in regelmäßigen Abständen durchgeführt werden.
Cloudbasierte Datenplattformen werden häufig von den Melktechnik-Herstellern angeboten (s. Kasten). Ihr Vorteil ist der mögliche Zugriff auf die Daten von unterschiedlichen Standorten aus bei ihrer gleichzeitigen Absicherung. Einmal erfasste und überlassene Daten gehen in den Besitz des neuen Datenhalters, also des Plattformbetreibers, über. Um die einzeltierbezogenen Sensordaten dem entsprechenden Tier zuordnen zu können, muss das Tier eindeutig erkannt werden.
Eine Datenbank für Sensorsysteme
DeLaval. Digitale Landwirtschaft integriert intelligente, nachhaltige Arbeitsweisen und fördert die Vernetzung sowie Effizienz- und Produktivitätssteigerungen durch datengesteuerte Erkenntnisse. Digitale Werkzeuge wie DeLaval Plus sind darauf ausgelegt, Daten in verwertbare Erkenntnisse umzuwandeln:
- Bei der Verhaltensanalyse überwachen Ohrmarkensensoren zusammen mit Künstlicher Intelligenz das Verhalten und die Gesundheit jeder Kuh in Echtzeit. Sie verfolgen die Aktivität, das Wiederkäuen und die Fressgewohnheiten, um Gesundheitsprobleme frühzeitig zu erkennen. Diese Daten helfen auch bei der Optimierung von Fütterungspraktiken und der Verbesserung des Herdenmanagements. Darüber hinaus identifiziert das System mithilfe von Künstlicher Intelligenz brünstige Kühe und empfiehlt den optimalen Zeitpunkt für die Besamung. Es ermöglicht eine genaue Echtzeitortung der Kühe im Stall. Die Überwachung des Aufenthaltsortes rund um die Uhr ermöglicht die Analyse der Zeit, die Kühe in den verschiedenen Stallbereichen verbringen, und erleichtert so das Erkennen von Veränderungen in ihrem normalen Tagesablauf.
- Datenanalysen mithilfe des KI-Modells DeepBlue, um Empfehlungen auf der Grundlage aktueller und historischer Daten zu geben. Sie helfen dem Landwirt, die bisherige Leistung zu verstehen und Möglichkeiten zur Verbesserung zu erkennen. Wer mit dem Melksystem »VMS™ V310« arbeitet, kann zudem auf die Anwendung »Reproduktionsleistung RePro« zugreifen. Damit wird der Progesteronspiegel in der Milch aufgezeichnet.
- Mit Prognosen zur künftigen Tiergesundheit und Betriebsleistung unterstützt das System den Milchviehhalter bei der Planung und Verbesserung des Melkens, der Fütterung und des gesamten Managements. Dazu gehört auch die Anwendung »Krankheitsrisiko«, die mithilfe Künstlicher Intelligenz frühe Anzeichen von Krankheiten wie Mastitis oder Ketose erkennt, eine rechtzeitige Behandlung ermöglicht und potentielle Verluste reduziert.