Der Vorschlag der EU-Kommission zur »nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln« (SUR) hält seit Wochen einen Spitzenplatz der innerlandwirtschaftlichen Diskussion.
Kein Wunder: Was bisher bekannt geworden ist, lädt nicht gerade zum Zurücklehnen ein. Da ist die Frage offen, auf welchen Referenzjahren Reduktionsziele überhaupt basieren. Mit welchen Instrumenten sie umgesetzt werden. Wie das Risiko bewertet wird. Und (vor allem in Deutschland) welche »sensiblen« Gebiete betroffen sein könnten. Landschaftsschutzgebiete und »rote« Gebiete dürften nach derzeitigem Stand der Dinge wohl draußen sein, FFH- und Vogelschutzgebiete müssen noch bangen. Gemessen an der Landfläche (nicht Landwirtschaftsfläche) liegt Deutschland bei den Vogelschutzgebieten etwa im Schnitt der EU, bei FFH darunter.
Darüber hinaus geht es nicht nur um Reduktionsziele und regionale Anwendungsverbote, sondern auch um die Frage, welche vorbeugenden Maßnahmen Landwirte wie dokumentieren müssen. Ohne diese sollen sie nach den Vorstellungen der EU-Kommission überhaupt nicht mehr spritzen dürfen. Die Debatte wird gerade stark vom Umweltausschuss des EU-Parlamentes bestimmt. Und hier vor allem von dessen Vorsitzender Sarah Wiener. Die als Fernsehköchin bekanntgewordene Politikerin sitzt seit 2019 für die österreichischen Grünen im EU-Parlament. Sie will über das Ziel der EU-Kommission von »50% in Menge und Risiko« für Substitutionskandidaten (sie nennt diese »besonders gefährliche Stoffe«) 80% Reduktion erreichen. Im Ökolandbau zugelassene Stoffe sollen generell außen vor bleiben.
Dass dieser Termin nicht so ohne weiteres zu halten ist, zeigt der Widerstand seines Landwirtschaftsausschusses gegenüber den Plänen der Kommission. Er will erst die von den Agrarministern im vorigen Dezember in Auftrag gegebene Folgenabschätzung abwarten. Auch diese müssen zustimmen, sodass der Zeitplan bis zur Europawahl 2024 (üblicherweise im Mai) doch enger werden könnte, als sich das die SUR-Befürworter vorstellen. Im zweiten Halbjahr 2023 hat zudem Spanien den EU-Vorsitz, und das auch durch intensiven Gemüsebau geprägte Land könnte (so wird erwartet) nicht besonders daran interessiert sein, diesen durch heftige Pflanzenschutzmittelauflagen zu gefährden.
Nichts zu tun mit der SUR hat ein interpretationsbedürftiges Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom Januar 2023, das vordergründig nur Neonikotinoide (und auch nur in Belgien) von der Notfallzulassung ausnimmt. Die derzeitige Lesart in Brüssel ist allerdings, dass alle Notfallzulassungen in der gesamten EU davon betroffen sein könnten.
GROSSBRITANNIEN
Wenn über Biodiversität gesprochen wird, steht die Landwirtschaft als größter Flächennutzer oft im Fokus. Dabei sind Gewerbegebiete zu 70 bis 90% versiegelt, und in Wohngebieten sieht es oft nicht besser aus. Gibt es in Deutschland dazu bestenfalls Leitlinien für freiwillige Maßnahmen, so sollen in Großbritannien ab Ende 2023 verbindliche Regeln gelten. Entwickler von Gewerbe- und Wohngebieten müssen nachweisen, in welcher Weise sie Biodiversität beeinträchtigen und wo sie einen »Biodiversitäts-Nettogewinn« von 10% der Fläche schaffen. Ist ihnen das nicht möglich, können sie ihre Verpflichtung auch über einen privaten Markt erfüllen, an dem Ausgleichsflächen gehandelt werden. Die neuen Anforderungen stehen im Zusammenhang mit 2021erlassenen Umweltgesetzen, die bis 2030 den Rückgang der Biodiversität stoppen sollen.