Bauernproteste. Es fährt ein Zug nach nirgendwo
Historische Entwicklungen, haben wir in der Schule gelernt, brauchen zwei Voraussetzungen: einen Anlass und eine Ursache. Ob die Landwirteproteste »historisch« sind, sei dahingestellt. Aber die Unterscheidung nützt einer glaubwürdigen Argumentation nach außen und einer nüchternen Einschätzung der eigenen Zukunft.
Der Anlass für den Aufruhr war die geplante Rücknahme der Steuerbefreiungen. Auch 2019 war es mit dem Insektenschutzgesetz ein vergleichsweise kleiner Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Sicherlich verschlechtert sich mit einem Auslaufen der Agrardiesel-Rückvergütung die Wettbewerbsstellung der deutschen Landwirtschaft gegenüber anderen EU-Ländern. Und es ist einfach unfair, an der vermeintlich einfachsten Stelle überproportional sparen zu wollen. Schnell aber kam die Frage auf, wie relevant das wirklich ist. Bisher lag
Deutschland mit seiner Dieselbesteuerung im Mittelfeld. Derzeit liegen an der Spitze die Niederlande und am Schluss Belgien und Luxemburg. Deutschland würde sich, falls die Ampelpläne so bleiben, ab 2026 auf die zweite Position der Belastungen vorschieben. Es ist nicht ganz einfach, die Zahlen der einzelnen Länder zu vergleichen, da unterschiedliche Definitionen und Ausnahmeregeln gelten. Hier ist Europa tatsächlich außer Kraft gesetzt. Zudem kommen zur Steuer die unterschiedlichen CO2-Abgaben.
Befördern einige Tausend Euro pro Jahr gesunde Betriebe oder gar »die« deutsche Landwirtschaft ins Aus? Das glauben nicht einmal die Landwirte selbst. Warum dann halten ihre Vertreter und insbesondere der DBV hartnäckig an dieser Erzählung fest? Warum stellen sie eine Alternativlosigkeit zur Schau, die gleichzeitig wieder relativiert wird? Man sei für Dialog, nicht aber für Kompromisse. Es werde eine Eruption durch fortwährende Nadelstiche geben. Solche Stilblüten zeigen vor allem, welchem Druck die sonst nicht für grundlosen Krawall bekannte DBV-Spitze vonseiten der Basis bzw. konkurrierender Netzwerke derzeit ausgesetzt ist. Auf den Agrardiesel können sich alle schnell einigen.
Damit sind noch nicht die Ursachen benannt. Über Frust und Ohnmacht einer Branche, die in der Theorie systemrelevant ist, in der Realität aber überwiegend austauschbare Massenprodukte erzeugt, ist in den letzten Wochen viel geredet und geschrieben worden. »Borchert« und ZKL, die schon abgeschrieben erschienen, kommen plötzlich wieder zum Vorschein. Im DBV selbst gibt es das Projekt »Zukunftsbauer«, der kein Subventionsempfänger wäre, sondern ein Problemlöser für die Gesellschaft. Und war es nicht der Bauernverband, der noch Ende 2023 mit Blick auf die kommende Agrarreform nahelegte, die pauschalen Flächenprämien abzuschaffen, um sich stattdessen an einkommenswirksamen gesellschaftlichen Leistungen zu orientieren? Eine solche Zukunft erreicht kaum die Breite der Branche, im Moment sowieso nicht. Solange sie im Ungefähren bleibt, politisch auf Widerstände stößt und keine konkreten wirtschaftlichen Perspektiven hinterlegt sind, erscheint sie vielen Landwirten als Bedrohung, nicht als Chance.
Wir wollen produzieren wie immer. Ihr zahlt und stört uns bitte nicht dabei: Dieser »Zug nach früher« ist längst weg. Der in die Zukunft steht zwar bereits am Bahnsteig. Doch der Lokführer streikt, das Stellwerk ist kaputt und die Passagiere steigen nicht ein, weil weder Ziel noch Fahrpreis genannt werden.