Meinung. Rollback oder Zukunftsidee?
Agrarpolitik. Gerichte aus der ganzen Welt, Myriaden von Düften und Pavillons so bunt wie die kulinarische Vielfalt – dafür steht zu Jahresbeginn die Grüne Woche. In ihrem 99. Jahr fällt diese mitten in den Wahlkampf und ist so politisch wie lange nicht mehr. Doch schaut man sich die landwirtschaftlichen Themen in den Wahlprogrammen der Parteien zur Bundestagswahl im Februar genauer an, fehlt darin eine Zukunftsidee für die Branche oder die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP). Stattdessen geht es um Bürokratieabbau, Steuerermäßigungen, Lieferverträge, Öko-Regelungen, Bioanteil und natürlich um Agrardiesel. Das klingt nach Rollback statt Zukunftsvision. Die Programme versacken im Nationalkleinklein.
Einen starken Auftritt und Gegenpol, der vielen Landwirten Hoffnung macht, legte der EU-Agrarkommissar Christophe Hansen bei der Eröffnungsveranstaltung der Grünen Woche hin. Er will nah bei den Menschen sein, deren Anliegen er in Brüssel vertritt. Und das kommt gut an. So hat er angekündigt, er wolle die Position der Landwirte in der Wertschöpfungskette stärken. Lebensmittel als Teil von Rabattschlachten des LEH hält er für bedenklich. Außerdem wolle er sich während seiner Amtszeit besonders für die Abschaffung von Bürokratie in der EU-Landwirtschaftspolitik
einsetzen: »Da ist noch mehr drin. Ich will, dass die Vereinfachung auch auf dem Hof zu spüren ist.« Das ist nicht neu. Nur hat sich die Bürokratie in den letzten zwei Dekaden vervierfacht! Das scheint also nicht sehr erfolgversprechend zu sein. Wir müssen anders an das Thema herangehen. Auch Bürokratie gehört digitalisiert, frei nach dem Motto: Mehr smart, weniger Staat. Der Wermutstropfen: Wie Hansen das Ziel Bürokratieabbau konkret erreichen will, hat er nicht verraten.
Mit Blick auf die Debatte um die künftigen EU-Prämien lehnte der Kommissar Forderungen nach Kürzung der Zahlungen entschieden ab. Er plädiert aber dafür, die Mittel umzuschichten: Geld soll vor allem an bedürftige Betriebe
fließen, an Familienbetriebe und Junglandwirte. Das ist Wasser auf die Mühlen der Kritiker, die schon seit einiger Zeit gebetsmühlenartig bemängeln, dass die Subventionen teilweise an die Falschen ausgeschüttet werden und damit den Strukturwandel fördern. Konkrete Empfehlungen liefert der Abschlussbericht des Strategischen Dialogs zur Zukunft der EU-Landwirtschaft. Es bleibt die Frage: Wo sind die strategisch denkenden Köpfe, die im Februar ein Konzept für den nächsten Koalitionsvertrag schmieden? Und gelingt es Hansen, den wohligen Ankündigungen Taten folgen zu lassen und die längst überfällige Reform der GAP anzustoßen? Sonst ist die Sympathie schnell verspielt.