Pflanzenbasiertes Fleisch: Nachfrage wächst kräftig
Während Deutschland sich als führender Markt für alternative Proteinprodukte in Europa etabliert hat, weisen Fachleute auf eine Unterfinanzierung der Branche hin. Um den kräftig wachsenden globalen Bedarf an alternativem pflanzenbasiertem „Fleisch“ zu decken, sind enorme Investitionen erforderlich.
Darauf hat der Marktanalyst Ivo Rzegotta vom Good Food Institute Europe (GFI) beim Pflanzenprotein-Symposium der Union zur Förderung von Oel- und Proteinpflanzen (UFOP) am Dienstag (28.11.) in Berlin hingewiesen. Der mengenmäßige Anteil von pflanzenbasierter Ware am globalen Fleisch- und Seafoodmarkt dürfte nämlich nach den Berechnungen der international aufgestellten Nichtregierungsorganisation bis 2030 auf 6 Prozent steigen; das wären etwa fünf Prozentpunkte mehr als 2021. Das betreffende Volumen bezifferte Rzegotta auf 25 Mio. Tonnen.
Dieser Prognose liege die jährliche Wachstumsrate der US-Nachfrage von 18 Prozent zugrunde. Ähnlich optimistisch wie das GFI ist laut Rzegotta die Boston Consulting Group (BCG), die den weltweiten Konsum von alternativen pflanzenbasierten Proteinprodukten für 2025 auf voraussichtlich 24 Mio. Tonnen beziffere. Bis 2035 werde für diese Produktgruppe ein Zuwachs auf 69 Mio. Tonnen prognostiziert. Außerdem dürfte bis dahin ein globaler Bedarf an alternativen, fermentierten und kultivierten Proteinerzeugnissen von 22 Mio. Tonnen beziehungsweise sechs Mio. Tonnen entstehen.
Investitionen in Europa rückläufig
Wie Rzegotta weiter ausführte, wären allein zur Deckung der erwarteten globalen Nachfrage nach alternativem pflanzenbasierten „Fleisch“ im Jahr 2030 rund 800 Großanlagen zur Extrusion und Verarbeitung sowie Investitionen von umgerechnet 24,7 Mrd. Euro erforderlich. Allerdings hätten sich die betreffenden Investitionen in Europa in den vergangenen Jahren „nicht gut entwickelt“: Nach einer Vervielfachung im Jahr 2020 gegenüber den Vorjahren auf 357 Mio. Euro sei der Betrag im Folgejahr auf 243 Mio. Euro geschrumpft.
Für 2022 sei zwar ein Zuwachs auf 279 Mio Euro registriert worden; in den ersten drei Quartalen des laufenden Jahres beliefen sich die Investitionen aber erst auf 68 Mio. Euro. Dem Marktexperten zufolge lag der Umsatz mit alternativen pflanzenbasierten Proteinprodukten in Deutschland im vergangenen Jahr bei 1,9 Mrd. Euro; das waren rund 200 Mio. Euro mehr als 2021 und sogar 600 Mio. Euro mehr als 2020. Damit sei die Bundesrepublik der größte europäische Markt für diese Produktgruppe, wie die Auswertung von aktuellen NielsenIQ-Daten für den Lebensmitteleinzelhandel ergeben habe.
Deutschland ist größter Markt Europas
Laut Nielsen entfielen 2022 vom Gesamterlös auf die Kategorie „Fleisch“ 643 Mio. Euro, gefolgt von „Milch“ mit 552 Mio. Euro und „Aufstriche“ mit 162 Mio. Euro. Die Plätze vier und fünf belegten die Kategorien „Joghurt“ mit 153 Mio. Euro und „Fertiggerichte“ mit 121 Mio. Euro. Außerdem entfielen jeweils weniger als 100 Mio. Euro an Erlösen auf „Eiscreme“, „Käse“, „Sahne“, „Seafood“ und „Desserts“. Allerdings sind laut Rzegotta die jährlichen Pro-Kopf-Ausgaben der Bundesbürger für alternative Proteinprodukte von 23 Euro im Vergleich zu denen für Fleisch noch sehr gering.
Mit Blick auf die zukünftige qualitative Marktentwicklung geht Rzegotta davon aus, dass es immer mehr alternative hybride Proteinprodukte geben wird, wobei pflanzenbasierte, fermentierte und/oder kultivierte Proteinerzeugnisse kombiniert würden. Als Beispiele führte er pflanzenbasiertes Fleisch mit kultiviertem Fett und Fisch mit Zutaten aus der Fermentation an. Derweil habe Deutschland weltweit die drittgrößte Zahl an Startup-Unternehmen im Bereich Fermentation. Die eigentliche Stärke der Bundesrepublik seien aber Zulieferer aus der Industrie für die Hersteller von alternativen Proteinen.
Unterfinanzierte Branche
Der Marktfachmann unterstrich die Bedeutung der Erzeugung von alternativen Proteinen als Klimaschutztechnologie. Beispielsweise emittiere die Produktion von pflanzenbasiertem „Hähnchenfleisch“ auf Erbsenbasis bis zu 87 Prozent weniger Treibhausgas (THG) als die tierische Produktion. Den THG-Senkungssatz für die Erzeugung von tierfreiem Molkenprotein aus der Präzisionsfermentation bezifferte er auf bis zu 97 Prozent.
Allerdings seien diese Technologien vor dem Hintergrund des Anteils der Tierhaltung am weltweiten THG-Ausstoß von 20 Prozent deutlich unterfinanziert. So summierten sich die weltweiten Klimaschutzinvestitionen aus privaten und öffentlichen Quellen für die Jahre 2011 bis 2020 auf insgesamt 2,2 Bill. Euro; davon entfielen nur 13 Mrd. Euro oder 0,6 Prozent auf Investitionen in die Erzeugung alternativer Proteine.