Zuckerrüben. »Ganz oben steht der Ertrag«
In den vergangenen Jahren drehte sich im Rübenanbau alles um Cercospora, Vergilbungsviren und natürlich um den SBR/Stolbur-Komplex. Wir haben Nils Stolte gefragt, womit wir in den kommenden Jahren rechnen dürfen.
Herr Stolte, welche Zuchtziele stehen in Ihrem Zuchtgarten ganz oben auf der
Liste?
Unser Hauptziel ist natürlich der Ertrag, genau genommen die Steigerung des Zuckerertrags. Daneben geht es um Resistenzen und Toleranzen, etwa gegen Cercospora, Trockenheit, Rizomania, Nematoden oder die verschiedenen Vergilbungsviren. Im Fokus unserer Arbeit steht zudem die Entwicklung von Sorten, die tolerant gegenüber den beiden Krankheiten SBR und RTD sind. RTD ist die Abkürzung für Rubbery Taproot Disease und wird umgangssprachlich auch als Stolbur oder Gummirüben bezeichnet.
Lassen Sie uns erst einmal über die Ziele sprechen, die bisher im Vordergrund standen, zum Beispiel Cercospora. Wie weit sind Sie mit resistenten Sorten?
Bevor ich dies beantworte, vielleicht erst einmal eine Begriffsfestlegung. Eine resistente Sorte führt, wenn wir Cercospora als Beispiel nehmen, zu weniger Krankheitssymptomen an den Blättern, was dazu führt, dass sich das infektiöse Material des Pilzes nicht weiter im Boden ansammelt. Eine Toleranz bedeutet, dass eine Sorte trotz Befall nicht mit Ertragseinbußen reagiert. Die Herausforderung bei Cercospora ist, dass sich die Krankheit sehr schnell anpasst. Daher bauen wir den Schutz vor Cercospora mit verschiedenen Genen auf, wir sprechen hier auch von einem polygenen, also sehr komplexen Merkmal. Uns ist es gelungen, eine neue Cercospora-Resistenzquelle zu entschlüsseln. Damit kombinieren wir einen sehr hohen Schutz vor Cercospora mit einem hohen Ertragspotential – unabhängig vom vorherrschenden Befallsdruck. Wichtig ist natürlich auch, den Infektionsdruck mit wirksamen Fungiziden zu begrenzen, sodass die Resistenz möglichst lange aufrechterhalten bleibt.
Wie gehen Sie bei der Trockenheitstoleranz vor?
Nun, wir testen unsere Sortenkandidaten an sehr trockenen Standorten und selektieren die widerstandsfähigsten Linien heraus.
Das können Sie aber nur einmal im Jahr machen, und wenn es regnet, funktioniert das auch nicht.
Das stimmt. Und genau deshalb haben wir in den Gewächshäusern in Einbeck die »PhenoFactory« aufgebaut. Roboter vermessen und analysieren im Gewächshaus in kurzen Abständen Rübenpflanzen unter Trockenstress. Wir wollen besser verstehen, wie die Pflanzen auf bestimmte Bedingungen reagieren und welche Gene bei Pflanzen bei Trockenstress aktiv eingeschaltet werden. Diese Gene können zum Beispiel für einen besonders effizienten Blattapparat oder ein tiefes und gut erschließendes Wurzelsystem verantwortlich sein. Dieses tiefgehende Verständnis ist wichtig, um die Züchtung trockentoleranter Sorten voranzutreiben.
Sie hatten die Vergilbungsviren erwähnt. Können Sie da absehbar die Neonics ersetzen?
Ersetzen kurzfristig sicher nicht, weil diese einen umfassenden Schutz vor Schädlingen in der frühen Wachstumsphase der Zuckerrüben geboten haben. Aber es gibt Kandidaten, die nach einer Infektion mit Vergilbungsviren weniger Symptome und Ertragsverluste haben. Wir arbeiten momentan daran, verschiedene Resistenzgene zu identifizieren, die wir dann in Elitematerial einkreuzen. Damit solche Sorten auch in der Praxis interessant sind, dürfen sie unter Nichtbefallsbedingungen keine Leistungseinbußen zeigen, ähnlich wie das bei nematodentoleranten oder rhizomaniatoleranten Sorten der Fall ist. Was den Schutz vor Vergilbungsviren angeht, sind wir bei der KWS auf einem guten Weg. Wir arbeiten bereits seit mehreren Jahren vorausschauend an Zuckerrübensorten, die tolerant sind. Von daher sind wir gut vorbereitet, wenn Vergilbungsviren zu einem echten Problem werden.
Reden wir über SBR.
Da stehen Sie noch am Anfang?
Was SBR angeht, haben wir bereits positive Variation, also Toleranz, in unseren Zuchtpools identifizieren können. Erste, aus diesen Erkenntnissen abgeleitete Sorten verfügen über eine erhöhte Toleranz gegenüber SBR. Ganz am Anfang stehen wir also nicht. Das Ziel ist es jedoch, noch besser zu werden.
Wie lange müssen wir auf resistente Sorten warten? Fünf Jahre, zehn Jahre?
Da muss man etwas genauer hinsehen. Kurzfristig testen wir unser Hochleistungsmaterial in den SBR-Starkbefallsregionen. Wie bereits erwähnt, ist in den Sorten und dem Elitematerial eine hohe Variation bezüglich der Leistung unter SBR zu finden. Daraus können wir recht schnell Sorten mit hoher Toleranz selektieren. Dies baut auf der breiten genetischen Variation, die wir in unseren Zuchtpools haben, auf. Unser langfristiges Ziel ist es jedoch, auch in Wildrüben Resistenzquellen zu finden und in unser Hochleistungsmaterial zu übertragen.
Und wie weit sind Sie damit?
Da stehen wir noch am Anfang. Wir sehen hier vielversprechende Variation in Wildrüben. Diese dann in Elitematerial einzukreuzen und mit hoher Leistung zu kombinieren, ist sehr zeitaufwendig. Aber genau das ist ja auch Geschäft in der Pflanzenzüchtung. Wir müssen vorausschauend arbeiten.
Geben Sie mir doch mal ein Beispiel.
Zwei gute Beispiele sind unsere Conviso Smart oder die CR+ Sorten, deren Entwicklung haben wir bereits Anfang der 2000 er Jahre angestoßen.
Kommen wir zurück zu SBR. Um die zu testen, sind Sie aber wieder auf Befallsjahre angewiesen ...
... nicht ganz. Natürlich testen wir unser Material in Befallsregionen. Darüber hinaus arbeiten wir inzwischen aber auch mit Phytokammern, eine Art Hochsicherheitscontainer. In diesen halten wir mit den SBR-Erregern infizierte Zikaden. So können wir Pflanzen das ganze Jahr über unter Befallsbedingungen testen und die Züchtung enorm beschleunigen.
Funktioniert das auch bei Stolbur?
Ja, wir arbeiten auch hier erfolgreich mit Phytokammern und infizierten Zikaden. Die nächsten Jahre werden zeigen, wie sich diese Krankheit im mitteleuropäischen Raum entwickelt. Beispiele in Südosteuropa und auch das Jahr 2024 in Deutschland zeigen, dass es nicht in jedem Jahr zu einem massiven Krankheitsdruck kommt. In jedem Fall müssen wir aber vorbereitet darauf sein.
Die Herangehensweise, um tolerante Sorten zu entwickeln, unterscheidet sich nicht grundlegend von der, wie wir es bei SBR machen. Der Fokus liegt zum einen auf der Selektion geeigneter Kandidaten innerhalb unseres Elitematerials und zum anderen auf der Identifizierung von neuen Resistenzen in Wildrüben mit anschließender Einkreuzung in unsere Zuchtpools.
Bitte vergessen Sie nicht: SBR und RTD/Stolbur sind zwei verschiedene Krankheiten, die durch unterschiedliche Erreger hervorgerufen werden. Wir gehen nicht davon aus, dass es Doppelresistenzen gibt, weshalb wir die beiden Krankheiten auch in unterschiedlichen Zuchtprogrammen bearbeiten. Die Ergebnisse beider Programme werden dann im Zuge der Sortenentwicklung kombiniert, um Schutz gegen beide Krankheiten zu erhalten.
SBR und Stolbur sind ein zentrales Thema des DLG-Ausschusses Pflanzenzüchtung. Was dort diskutiert wird, lesen Sie hier.
Stolbur macht vor allem in Trockenjahren Schäden. Sind trockentolerante Sorten da eine Lösung?
Leider ist es nicht so einfach. Da wir noch keine vielversprechenden Resistenzgene identifiziert haben, versuchen wir, die Pflanzen vor allen anderen Stressfaktoren zu schützen, also vor Cercospora, Nematoden, Rizomania und natürlich auch Trockenheit. Eine starke Pflanze ist eben widerstandsfähiger gegen eine Krankheit wie Stolbur, als eine geschwächte Pflanze. Aber grundsätzlich bin ich mir sicher: Wir werden Lösungsansätze finden, diese Erkrankung in den Griff zu bekommen. Auch in der Vergangenheit haben wir auf pflanzenbauliche Probleme züchterische Lösungen gefunden.
Lassen Sie uns zum Abschluss noch über Saftreinheit sprechen. Die ist in den vergangenen Jahren kaum noch ein Thema gewesen.
Das stimmt nicht. Natürlich standen auch andere Merkmale im Vordergrund, und am Ende sind Kapazitäten in jedem Unternehmen begrenzt und es müssen Prioritäten gesetzt werden. Aber wir sind auch da ein ganzes Stück vorangekommen. Denken Sie etwa an die Stickstoffeffizienz der Rüben, die sich massiv verbessert hat. Das hat nicht nur den CO2-Fußabdruck stark reduziert, sondern bei steigender Ertragsleistung trotz geringerer Stickstoffdüngung indirekt auch den Amino-N-Gehalt verringert, die Saftreinheit also verbessert.
Die Stickstoffverwertung ist ein wichtiges Zuchtziel, das in diese Richtung weist. Aber wir arbeiten nicht nur an der Stickstoffeffizienz. Unser Fokus liegt auch auf Magnesium und Phosphat. Das Ziel sind Low-Input Sorten, die bei begrenzten Ressourcen einen lohnenswerten Anbau der Zuckerrübe ermöglichen.