
Klimafußabdruck. Die Branchenlösung kommt
Die Fleischwirtschaft arbeitet unter dem Titel »Klimaplattform Fleisch« an einer einheitlichen Berechnung der CO2-Emissionen für schweinehaltende Betriebe. Die angestrebte Branchenlösung soll helfen, Emissionen zu senken und Berichtspflichten zu erfüllen. Nur zusätzlicher Aufwand oder auch Nutzen für die Betriebe?
Dass auch Schweinehalter früher oder später aufgefordert sein werden, einen Nachweis für die Nachhaltigkeit ihrer Produktion vorzulegen, war absehbar. Jetzt wird es konkret und die Betriebe werden bald aktiv handeln müssen. Denn die Land- und Fleischwirtschaft verständigt sich aktuell über eine Branchenlösung zur Berechnung von CO2-Emissionen in der Schweineproduktion.
Brancheninitiative schafft einen Standard. Ausgangspunkt der Initiative war ein Aufschlag des Schlachtunternehmens Tönnies. Ende 2023 hatte man dort unter dem Arbeitstitel »Klimaplattform Fleisch« ein Online-Tool auf den Weg gebracht, das nach der Eingabe von betriebsindividuellen Daten wie Tageszunahmen, Futterkomponenten und -verbrauch, Stromverbrauch usw. einen betriebsspezifischen CO2-Fußabdruck für die Schweinefleischproduktion errechnet. Die Ergebnisse können mit anderen Betrieben verglichen werden (Grafik unten). Erklärtes Ziel der »Tönnis-Klimaplattform« sei von vorneherein eine Branchenlösung gewesen, so das Unternehmen.
Mit dem Ziel, sich auf eine einheitliche Berechnung für die CO2-Emissionen in schweinehaltenden Betrieben zu verständigen, arbeiten mittlerweile etliche Stakeholder der Branche unter der Koordination von QS an dem Projekt. Die Berechnungsmethode wird von den Landwirtschaftskammern Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, der Landesanstalt für Landwirtschaft Bayern (LfL), dem Thünen Institut und dem Kuratorium für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft (KTBL) erarbeitet. Es ist geplant, dass schweinehaltende Betriebe ab dem 1. Quartal 2025 ihre Daten für die CO2-Berechnungen auf einer von QS bereitgestellten Plattform eingeben können.
Die Ergebnisse bieten Betriebsleitern dann eine Basis für die Optimierung der CO2-Emissionen ihrer Produktion. Darüber hinaus sollen die nachgelagerten Unternehmen der Wertschöpfungskette die bereitgestellten Werte nutzen können, um ihre Nachhaltigkeits-Berichtspflichten zu erfüllen. Weiteres erklärtes Ziel ist es, die Branche insgesamt auskunftsfähig in Bezug auf die CO2-Emissionen in der Landwirtschaft zu machen.
65 % weniger CO2 durch heimisches Soja

Praxisbeispiel. Junglandwirt Alexander Schlecht aus dem Landkreis Biberach hält knapp 2 000 Mastschweine in zwei Ställen mit Auslauf. Die CO2-Bilanz ist bemerkenswert: Für den Betrieb wurde ein Klimafußabdruck von 2,35 kg CO2eq/kg Schlachtgewicht errechnet. So einen niedrigen Wert erreichen nur wenige Mäster. Durchschnittlich wird Schweinefleisch in Deutschland mit Emissionen von 3 bis 3,5 kg CO2eq/kg Schlachtgewicht produziert.
Die Ställe sind innen klimatisiert, planbefestigt und mit Stroh eingestreut. Der voll überdachte Auslauf hat einen Spaltenboden. Beide Ställe sind in die Haltungsform 3 eingeordnet. Die Schlachtschweine werden in das Tierwohlprogramm von Kaufland geliefert. Dabei ist neben regionalen Eiweißfuttermitteln nur der Einsatz von EU-Soja erlaubt. Familie Schlecht setzt überwiegend heimisches Soja ein, das vor Ort mittlerweile gut verfügbar ist. In der hofeigenen Toastanlage wird es zur Verfütterung aufbereitet. Das rechnet sich, da die Kosten für den Zukauf der Rohware zuzüglich der eigenen Verarbeitung etwas unter dem Zukaufspreis für EU-Soja beim örtlichen Landhandel liegen. Zum Vergleich: Import-Soja aus Übersee kostet derzeit etwa 15 €/dt weniger als EU-Soja.
Ein Drittel der Emissionsreduktion entsteht durch die zeitnahe Vergärung der Gülle. Auch über das Güllemanagement realisiert man eine starke CO2-Emissionssenkung. Die Gülle wird täglich ausgeschleust zur direkten Vergärung in der hofeigenen Biogasanlage. Ein weiterer Vorteil dieses Vorgehens ist die erhöhter Gasausbeute gegenüber gelagerter Gülle. Schlecht schätzt, dass 65 % der eingesparten CO2-Emissionen auf die regionalen Futtermittel zurückzuführen sind und 35 % auf das Güllemanagement.
Warum braucht man das? Im Rahmen des Green Deals der EU kommen Berichtspflichten zu Umweltauswirkungen auch auf die Landwirtschaft zu. »Unabhängig davon, wie diese zunehmenden Verpflichtungen beurteilt werden, ist das ein Umstand, dem Rechnung getragen werden muss«, sagt QS-Geschäftsführer Dr. Alexander Hinrichs.
Der Druck auf die Branche, Klimadaten bereitzustellen, steigt nicht nur durch gesetzliche Vorgaben, sondern auch durch Anforderungen von Kunden, Banken und Versicherungen. So müssen Letztere für ihr Finanzgeschäft nachweisen, welcher Anteil des Geldes in nachhaltige Investitionen geht. Größere Unternehmen müssen außerdem Nachhaltigkeitsberichte erstellen, in denen die Bewertung der Lieferanten in Bezug auf CO2 ins Spiel kommt. Landwirtschaftliche Betriebe werden also künftig ihren Kunden Informationen über die CO2-Emissionen ihrer Produktion liefern müssen. Für die berichtspflichtigen Unternehmen geht es also um den Zugang zu Finanzmitteln. Bisher wurden viele Insellösungen entwickelt, mit denen Banken, Versicherungen und größere Unternehmen versuchen, ihre Kunden bzw. Lieferanten hinsichtlich deren Nachhaltigkeit zu bewerten. »Mit einer harmonisierten Lösung, deren Ergebnisse über die QS-Datenbank abgebildet werden können, vermeiden wir Doppelarbeit und eine unübersichtliche Landschaft aus vielen verschiedenen Systemen und Verfahren. Damit wollen wir Effizienzeinbußen und Kosten für die ganze Kette reduzieren«, erläutert Hinrichs.
CO2-Einsparpotential im Schweinemastfutter
Fütterungsverfahren | % Rohprotein im Mastabschnitt | g CO2eq/ kg Futter | Veränderung CO2eq | |||
28 – 40 kg | 40 – 65 kg | 65 – 90 kg | 90 – 118 kg | |||
Stark N/P- reduziert | 17,5 | 16,5 | 15,5 | 14 | 922 | |
sehr stark N/Preduziert | 16,5 | 15,5 | 14 | 13,5 | 787 | – 15 % |
Produkt | 15,5 | 15 | 13,5 | 12,5 | 720 | – 22 % |
Quellen: DLG, Agravis
Der größte Hebel ist die Fütterung. Die Treibhausgasemissionen aus Schweineställen werden hauptsächlich von der Gestaltung des Buchtenbodens, dem Güllemanagement und der Fütterung beeinflusst. 60 % der Emissionen aus der Schweineerzeugung sind der Futtermittelproduktion zuzuschreiben. Die Absenkung des Rohproteingehalts im Futter ist eine zentrale Maßnahme. Studien zeigen, dass sich der CO2-Fußabdruck pro kg Lebendgewicht um etwa 10 % reduzieren lässt, wenn der Rohproteingehalt im Futter um 1 % abgesenkt wird.
Klimabilanzierung – es geht nicht mehr um das Ob, sondern um das Wie.
Nach BImschG genehmigte Schweinehaltungsbetriebe müssen bereits heute gemäß der Vorgaben der TA-Luft mindestens eine stark N/P-reduzierte Fütterung realisieren. In der Schweinemast lassen sich durch eine weitere Reduktion der Sicherheitszuschläge bei der Eiweißversorgung die CO2-Emissionen je kg Futter um weitere 20 % reduzieren (Übersicht in Tabelle oben). Den im Verhältnis größten »CO2-Rucksack« bringt Übersee-Sojaschrot mit, selbst wenn es zertifiziert entwaldungsfrei ist – der heutige Standard. Also bringt es einen deutlichen Effekt, wenn der Sojaanteil reduziert werden kann.
Eine Reduktion des CO2-Fußabdrucks von Schweinefleisch ist möglich. Nach Einschätzung von Rabobank Research kann der CO2-Fußabdruck pro kg Schweinefleisch in Westeuropa bis 2030 um 22 % sinken. Dieses Szenario geht von der Verwendung entwaldungsfreien Sojas, einem verstärkten Einsatz von Nebenprodukten und lokalen Futterkomponenten, einer Steigerung der Futtereffizienz und der Tageszunahmen sowie einem besseren Güllemanagement aus. 8 % Emissionssenkung werden für die verstärkte Nutzung erneuerbarer Energien und Produktivitätssteigerungen entlang der gesamten Kette angesetzt.
Nachhaltigkeit ist mehr als nur CO2-Bilanzierung. Bei der Klimaplattform Fleisch steht ausschließlich der CO2-Fußabdruck des Produktes Schlachtschwein im Fokus. Tatsächlich schließt Nachhaltigkeit per Definition aber auch soziale Faktoren und die Wirtschaftlichkeit ein. Für die Schweinefleischproduktion zeigt sich, dass wichtige Faktoren, die einen niedrigen CO2-Fußabdruck ausmachen, wie hohe Tageszunahmen, eine gute Futterverwertung und geringe Tierverluste, Hand in Hand gehen mit einer besseren Wirtschaftlichkeit.
Ausblick. Es stellt sich die Frage, wie stark der CO2-Fußabdruck von Fleisch künftig gesenkt werden muss. Das aktiv zu tun, verursacht Kosten. Zum Beispiel, wenn es darum geht, Import-Soja aufgrund der hohen CO2-Belastung aus der Fütterung nehmen zu müssen. Spätestens an der Stelle wird es einen Ausgleich für den geschaffenen Mehrwert »geringerer CO2-Fußabdruck« geben müssen.
Interview. »Der CO2-Fußabdruck macht Haltungssysteme objektiv vergleichbar«
Der CO2-Fußabdruck wird zum zentralen Maßstab für Nachhaltigkeit – auch in der Schweinehaltung. Was bedeutet das für Landwirte? Torsten Staack erklärt, warum die Branche eine einheitliche Lösung braucht, welche Chancen sich bieten und warum Daten ihren Preis haben sollten.
Herr Dr. Staack, wie sehen Sie die Initiative der Branche zur »Klimaplattform Fleisch« unter QS-Koordination?
Ein Branchenansatz zur Nachhaltigkeitsbewertung – beginnend mit dem CO2-Fußabdruck für Schweinefleisch – ist richtig und wichtig. Nur so können wir selbst die Eckpfeiler für eine praktikable Umsetzung setzen. Auch eine Koordination durch QS ist sinnvoll, da hier bereits entsprechende Strukturen und Erfahrung mit der Diskussion und Umsetzung von Branchenlösungen vorhanden sind – man denke allein an die seit zehn Jahren bestehende Initiative Tierwohl.
Gibt es dabei auch einen echten Nutzen für Landwirte?
Zunächst einmal: Ein einheitliches Vorgehen zur Ermittlung des CO2-Fußabdrucks ist entscheidend. Mit Wildwuchs wäre niemandem geholfen. Man stelle sich vor, Schweinehalter müssten künftig je nach Abnehmer unterschiedliche CO2-Berechnungen vorlegen. Die Klimaplattform Fleisch schafft die Strukturen für eine einheitliche Lösung. Das ist nicht trivial, denn neben der Vereinheitlichung geht es um eine sichere Datenhaltung mit klar geregeltem Zugriff. Der Landwirt muss die Kontrolle über seine Daten behalten.
Sollte die Datenbereitstellung nicht auch vergütet werden?
Unbedingt, schließlich haben die Daten einen finanziellen Wert für die Fleischabnehmer – etwa bei Kreditgeschäften, Finanzierungen oder in der Fleischvermarktung. Die Daten werden quasi mit dem Schwein eingekauft – und dafür muss unseres Erachtens der Profiteur auch etwas bezahlen. In der Milchbranche vergüten Molkereien zum Teil bereits die Datenlieferung. Wichtig ist hierfür eine harmonisierte CO2-Berechnung und eine zentrale Datenbereitstellung. Erst wenn diese Basis gegeben ist, können sich Landwirt und Abnehmer direkt – und ohne QS-Beteiligung – auf eine Vergütung verständigen.
Wird die Datenlieferung zur Pflicht für Schweinehalter?
Vorerst ist die Teilnahme an der Klimaplattform freiwillig. Doch durch den gesetzlichen Druck auf größere Unternehmen, eine Lieferantenbewertung im Rahmen der Nachhaltigkeitsberichterstattung vorzunehmen, wird sich das wohl ändern. Entscheidend ist: Wer Daten fordert, muss auch dafür zahlen.
Ist die Fokussierung auf den CO2-Fußabdruck für die Schweinehaltung in Deutschland positiv?
Bei allen Themen rücken zuerst die Big Points in den Fokus, im zweiten Schritt folgen dann aber unweigerlich alle weiteren. So ist es auch mit dem CO2-Fußabdruck. Nachhaltigkeit bedeutet definitiv mehr, aber die CO2-
Bilanz ist ein objektiv messbarer und skalierbarer Wert. Deshalb steht er beim Klimaschutz richtigerweise im Vordergrund.
Bietet der CO2-Fußabdruck eine Chance für deutsches Schweinefleisch?
Ja! Denn er hängt maßgeblich von der Effizienz der Erzeugung ab – und diese haben wir nun schon über Jahrzehnte optimiert. Hier ist die deutsche Schweinehaltung richtig gut. Wirtschaftlichkeit und Klimabilanz laufen in die gleiche Richtung. Und der CO2-Fußabdruck bringt auch ein Stück weit Objektivität in die Bewertung der Haltungssysteme: 70 bis 80 % der Klimawirkung von Schweinefleisch stammen aus dem Futter. Die Futterverwertung und die regionale Erzeugung der Futtermittel spielen daher eine große Rolle.
Der Druck in Sachen Nachhaltigkeit wird ja sicher nicht nachlassen ...
Die konkreten Nachhaltigkeitsregeln mögen sich vielleicht noch ändern, der Klimaschutz bleibt aber das Topthema der nächsten Jahrzehnte. Und das kommt nicht nur vonseiten der EU. In Deutschland ist vergangenen Sommer das neue Klimaschutzgesetz in Kraft getreten. Danach sollen die Treibhausgase bis 2030 um mindestens 65 % und bis 2040 um mindestens 88 % reduziert werden. Bis 2045 soll Deutschland klimaneutral sein. Es ist also davon auszugehen, dass gerade der CO2-Fußabdruck ein wesentliches Kriterium bleiben wird.
Die Fragen stellte Christin Benecke.