Wo und wie können die unterschiedlichen Akteure den Transformationsprozess der Branche mitgestalten? Was braucht es, um die Landwirtschaft ganzheitlich zu denken, statt sich im Klein Klein zu verlieren? Welche neuen Wege und Ideen gibt es für die Zukunft und wie lassen sich Innovationen schneller in die Praxis bringen? Das waren die zentralen Fragestellungen unseres ersten digitalen Zukunftsgesprächs, mit dem wir Brücken bauen und Landwirte und Gründer zusammenbringen wollen. Denn ein offener Austausch ist wichtig, um Verständnis für das gegenseitige Mindset zu schaffen.
Innovationen sollen für Verbesserungen sorgen
Grundvoraussetzung dafür sind Antworten auf die Frage: Habe ich das Agrarsystem verstanden? Sonst können Innovationen nicht nur Wertschöpfung auslösen, sondern mit Zeitverzug auch Schadschöpfung. In seiner Keynote machte Thomas Sindelar sehr plakativ die Komplexität des Agrarsystems klar. »Komplexen Systemen ist gemein, dass man nicht vorhersagen kann, welche Ergebnisse in naher Zukunft aus den Wechselbeziehungen der Elemente und Akteure entstehen werden«, sagt Sindelar. Und damit befinden auch Sie sich mit Ihrem Betrieb, ob Sie wollen oder nicht, im Management komplexer Systeme, mit seinen ungewissen und unvorhersehbaren Einflüssen.
Im Umgang mit Komplexität entstehen seiner Meinung nach Fehler: »Die Übersicht und der Blick auf das Ganze fehlt, die entscheidenden Größen stehen nicht im Mittelpunkt und man verzettelt sich bei den Maßnahmen«, lautet Sindelars Analyse. Selbst wenn es gelänge, das Agrarsystem (siehe nebenstehende Übersicht) mit den bekannten Marktteilnehmern genau zu definieren und sich alle Akteure einig wären, es stabil zu halten, agiert es nicht im luftleeren Raum. Weltwirtschaft, Klima, Verbraucher, Politik, etc. – die Landwirtschaft steht in direktem Austausch mit anderen Systemen.
Wir Menschen wünschen uns Komplexitätsreduktion
»Ich bin da skeptisch«, sagt Thomas Sindelar mit Blick auf das Agrarsystem. Seine These: Egal, ob Borchardt-Kommission oder ZKL, es wurde keine methodisch saubere Herleitung gemacht, welche Zukunftsszenarien eigentlich die wahrscheinlichsten sind. »Wir brauchen eine Diskussionsgrundlage, die das komplexe Agrarsystem in ein Wirkungsgefüge bringt und Managementlandkarten arrangiert, die eine völlig neue und transparente Gesprächsbasis über die Zukunftsfähigkeit des Agrarsystems ermöglichen«, so Sindelars abschließende Forderung.
In welchem Umfeld entstehen eigentlich Startup-Innovationen? Und welche Hindernisse müssen aus dem Weg geräumt werden, um den Standort noch gründungsfreundlicher zu machen? Florian Stöhr, Geschäftsführer vom Seedhouse in Osnabrück zeigte in seinem Impuls, dass gerade 2,2 % der Startups in Deutschland in der Landwirtschaft zu Hause sind. »Eigentlich stehen wir gar nicht so schlecht da«, lautet dennoch sein Credo. Denn der BIP-Anteil der Landwirtschaft liegt gerade bei 1,2 %. Und er ergänzt: »Wenn man sich Investments in Agrar-Startups anschaut, stehen wir mit 3 Mrd. € im internationalen Vergleich auf Platz vier.« Vor uns die USA, China und Indien. Er betonte aber auch, dass es noch Verbesserungspotential bei der Vernetzung der verschiedenen Akteure und auch bei der Entrepreneurship-Ausbildung an Hochschulen, Unis, aber auch bei den Landwirten gibt. »Grundsätzlich haben wir Grund zu gesundem Optimismus«, lautet Stöhrs Fazit.
Es braucht Zielbilder für Zukunftsszenarien
»Wenn wir über Fortschritt und Innovation reden, ist es natürlich hilfreich, wenn man ein Ziel vor Augen hat«, sagt Philipp Schulze Esking, Vizepräsident der DLG und selbst Landwirt. Wir brauchen Neugier und die Lust, neue Wege zu gehen. Den Mut zum Perspektivwechsel. Getreu dem Motto: Wer sich nicht neu erfindet, verschwindet! »In einer freien Marktwirtschaft ist jeder seines eigenen Glückes Schmied. Wenn ich den Eindruck habe, ich ertrage den Wettbewerbsdruck durch die offenen globalen Märkte nicht, dann bin ich wahrscheinlich besser beraten, wenn ich mich um eine Nische kümmer, in der ich nicht Mengenanpasser bin«, ergänzt Esking.
In diese Kerbe schlägt auch Andreas Lieke, LBB Göttingen: »Landwirte bedienen überwiegend Märkte für Commodities, die vom Weltmarkt abhängen. Deshalb ist es der Kampf um die Stückkosten, um im Wettbewerb klarzukommen. Das ist aufreibend und überfordert manchen Betriebsleiter«. Kurzum: Landwirte sind tagesorientierte Grenzkostenrechner, im Dauerstress ohne Zukunftsvision. Das erweckt den Eindruck zweier komplett unterschiedlicher Denkschulen. Startups kennen die Lösung nicht und probieren aus (Cleverness), Landwirte denken effizient (Kostendruck).