Saatgutbehandlung. Wie gut sind alternative Verfahren?
Durch den Wegfall chemischer Wirkstoffe und neue Auflagen nimmt das Interesse an thermischen, mechanischen und elektronischen Saatgutbehandlungen zu. Welche Stärken und Schwächen diese Verfahren haben, zeigen Benno Voit, Nicole Chaluppa und Berta Killermann.
Die chemische Saatgutbeizung war über viele Jahrzehnte der Standard im Getreidebau. Mit ihr lassen sich samen- und bodenbürtige Krankheitserreger sicher bekämpfen. Das sorgt nicht nur für einen guten Feldaufgang, sondern beugt auch Krankheiten wie Steinbrand, Zwergsteinbrand und Flugbrand vor, die sich in späteren Wachstumsstadien durch keine Pflanzenschutzmaßnahme mehr erfassen lassen. Doch trotz der punktgenauen Anwendung wünschen sich immer mehr Verbraucher Getreide, das ohne chemische Beizmittel produziert wird. Hinzu kommt, dass viele Wirkstoffe wegbrechen und fast keine neuen mehr zugelassen werden. Damit stellen sich auch immer mehr konventionelle Landwirte die Frage, welche Alternativen es gibt und was diese leisten.
Warm- und Heißwasserbehandlung
Die Warm- und Heißwasserbehandlung ist eine der ältesten Methoden, die bis in die 70er Jahre mit gutem Erfolg bei Gerste angewendet wurde. Das gilt insbesondere mit Blick auf den Flugbrand. Bei der Warmwasserbehandlung wird das Saatgut für zwei bis drei Stunden in 42 bzw. 45 °C warmem Wasser behandelt. Bei der Heißwasserbehandlung beträgt die Temperatur 52 °C, die Einwirkdauer jedoch nur fünf Minuten. Zur Saatgutbehandlung wird in der Regel ein Wasserbad mit Umwälzpumpe und Thermostat verwendet. Anschließend erfolgt die Rücktrocknung des Saatgutes. Der Wirkungsgrad liegt bei der Streifenkrankheit und bei Flugbrand bei 70 bis über 90 %, wobei die
höheren Wirkungsgrade mit Heißwasser erreicht werden. Allerdings muss man hier Keimfähigkeitsverluste von bis zu 30 % hinnehmen. Demgegenüber liegen die Keimfähigkeitsverluste bei der Warmwasserbehandlung nur bei wenigen Prozentpunkten und treten insbesondere bei Saatkörnern mit Verletzungen auf.
Der geringste Wirkungsgrad wurde bei der Behandlung der Netzflecken mit Werten zwischen 40 und 50 % erreicht. Fusarien, die bei Weizen häufiger auftreten als bei der Gerste, lassen sich bis zu einem mittelstarken Befall ebenfalls mit einer Warm- und Heißwasserbehandlung noch ausreichend bekämpfen. Ebenso lassen sich auch Steinbrandsporen abwaschen. Dies gilt auch für Zwergsteinbrand, wobei hier zu berücksichtigen ist, dass die Infektion fast ausschließlich von den Sporen im Boden ausgeht. Damit kann auch noch so sauberes Saatgut befallen werden, wenn sich im Boden Zwergsteinbrandsporen befinden. In Norddeutschland tritt Zwergsteinbrand allerdings aufgrund der klimatischen Gegebenheiten nicht auf. Mit der Warm- und Heißwasserbehandlung lassen sich nicht so hohe Tonnageleistungen erzielen wie mit der chemischen Beizung. Zudem ist das Verfahren, verglichen mit der chemischen Beize, deutlich teurer, da der Arbeits- und Energieaufwand um ein Vielfaches höher ist.
Dampfbehandlung
Die Dampfbehandlung ist eine Weiterentwicklung der Warm- und Heißwasserbehandlung. Dieses Verfahren wurde 2021 preisgekrönt. In der Schweiz wird damit Ökosaatgut behandelt. In der Wirksamkeit ist die Dampfbehandlung vergleichbar mit der Warm- und
Heißwasserbehandlung. Durch die Verwendung von Wasserdampf ist die Behandlungszeit viel kürzer. So lassen sich Keimschäden vermeiden. Das führt allerdings bei tiefersitzenden Erregern wie Flugbrand und teilweise auch Fusarium auch zu einer geringeren Wirkung. Anschließend muss das Saatgut wieder rückgetrocknet werden. Der Vorteil der Dampfbehandlung liegt in der Leistungsfähigkeit
der Anlage. Mit dem Verfahren sind 15 t Getreide pro Stunde möglich.
Bürsten von Getreide
Mit speziell entwickelten Bürstmaschinen können außen am Saatkorn anhaftende Krankheitserreger abgebürstet werden. Ursprünglich waren diese dazu gedacht, nur die Sporen von Steinbrand und Zwergsteinbrand wegzubürsten. Die Ergebnisse dazu sind recht gut. Ein mittlerer Befall mit Steinbrand lässt sich so weit reduzieren, dass der von der Arbeitsgemeinschaft der Anerkennungsstellen vorgegebene Wert für Saatgut von 20 Sporen pro Korn erreicht werden kann. Dies hängt von der Anzahl der Bürstvorgänge ab. Im Embryo sitzende Erreger wie Flugbrand bzw. tiefersitzende Fusariumerreger werden damit allerdings nicht erfasst. Bürstet man Getreide zu intensiv,
können in seltenen Fällen Keimschäden auftreten. Aus finanzieller Sicht ist dieses Verfahren die kostengünstigste Form der alternativen Saatgutbehandlung.
Elektronenbehandlung
Bei dieser Maßnahme wird Saatgut mit niederenergetischen Elektronen behandelt, die außen am Korn anhaftende Krankheitserreger unschädlich machen. Wird die Behandlung mit einer zu hohen Intensität durchgeführt, führt dies unweigerlich zur Schädigung der Keimanlage. Deshalb lassen sich tiefersitzende Fusariuminfektionen und Flugbrand damit nicht ausreichend bekämpfen. Finanziell ist die Elektronenbehandlung mit der chemischen Beizung in etwa vergleichbar. Gleiches gilt für die Tonnageleistung. Anwendung findet dieses Verfahren vorrangig in den neuen Bundesländern in Gebieten mit niedrigem Fusariumdruck. In Süddeutschland hingegen, wo immer wieder Jahre mit größerem Fusariumdruck auftreten, hat dieses Verfahren kaum Eingang gefunden. Allerdings bestehen in der Praxis auch noch Vorbehalte gegen diese Art der Behandlung, da beim Saatgut die bei der chemischen Beizung übliche rote Farbe an den Körnern fehlt. Damit lässt sich natürlich nicht nachvollziehen, ob das Saatgut überhaupt behandelt wurde. Da die Elektronenbehandlung bei Bioverbänden umstritten ist bzw. abgelehnt wird, hat sie im Ökolandbau bisher nur geringe Bedeutung erlangt. Der große Vorteil dieser Methode ist, dass das Getreide als Futtermittel verwendet werden kann, wenn es nicht ausgesät wird.
Pflanzenstärkungsmittel
Bei Tillecur handelt es sich um ein Pflanzenstärkungsmittel auf der Basis von Senfmehl unter Beimischung von Formulierungshilfen.
Pflanzenstärkungsmittel bedürfen keiner Zulassung. Die Wirkung von Tillecur beschränkt sich im Wesentlichen auf das Unschädlichmachen von Steinbrandsporen, die außen auf den Weizenkörnen haften. Hier ist die Wirkung nachweislich recht gut (bis zu 90 %). Jedoch ist bei einem starken Befall mit Steinbrand der Wirkungsgrad nicht ausreichend. Die Wirkung gegen Zwergsteinbrand, Fusarium und Flugbrand ist gering. Mit dem Präparat Cerall liegt ein zugelassenes Pflanzenschutzmittel auf Basis des Bodenbakteriums Pseudomonas chlororatis vor, welches zur Behandlung von Steinbrand in Biobetrieben eingesetzt werden darf. Ähnlich wie bei Tillecur ist
auch hier die Wirkung gegen Zwergsteinbrand, Fusarium und Flugbrand begrenzt. Die Kosten für die Saatgutbehandlung beider Produkte sind niedriger als bei der Warm- und Heißwasserbehandlung sowie der Dampfbehandlung. Zudem muss die Behandlung immer kurz vor der Aussaat erfolgen. Denn behandeltes Saatgut ist nicht lagerfähig.
Allen aufgeführten Verfahren ist gemeinsam, dass sie dem Saatkorn vor den im Boden befindlichen Erregern nahezu keinen Schutz bieten. Das ist bei der chemischen Beizung anders. Hier bildet sich um das Saatkorn im Boden ein sogenannter Beizhof, der das Saatkorn wirkungsvoll vor Krankheitserregern im Boden (z. B. Zwergsteinbrand) schützt. Derzeit beschäftigen sich Forscher intensiv mit Zusatzbehandlungen, z. B. mit Präparaten, die das Wachstum und die Vitalität der Keimlinge fördern. Damit wäre zumindest eine Alternative zum Beizhof geboten und ein gewisses Mindestmaß an »Bodenschutz« vorhanden. Ein weiterer Nachteil ist, dass bei einer
alternativen Behandlung in der Regel der Befall mit den Erregern am Saatkorn nur einen geringen bis mittleren Befall aufweisen darf. Andernfalls ist der Wirkungsgrad unbefriedigend. Daher nimmt bei einem Verzicht auf die chemische Beizung die Saatgutgesundheit einen deutlich höheren Stellenwert ein. Somit ist bei einem Befall mit den entsprechenden Krankheitserregern die Kenntnis über die Höhe des Befalls (niedrig oder hoch) von großer Bedeutung. Eine gewisse Unterstützung leistet in diesem Zusammenhang auch das Bundessortenamt. Denn mittlerweile werden z. B. nur noch neue Weizensorten in die Beschreibende Sortenliste aufgenommen, die im Merkmal Fusariumanfälligkeit mit einer Boniturnote < 7 eingestuft sind.
Das bleibt festzuhalten
Die aufgeführten alternativen Methoden zur chemischen Beizung erreichen bei einigen Krankheitserregern ähnlich hohe Wirkungsgrade wie die chemische Beizung. Schwierig wird es, wenn sich der Erreger tiefer im Korn (z. B. Fusarium) oder in der Keimanlage (z. B. Flugbrand) befindet. In diesen Fällen liegen die Wirkungsgrade oftmals deutlich unter denen der chemischen Beizung. Darüber hinaus liegen die Kosten der Alternativen mit Ausnahme des Bürstens über denen der chemischen Beizung.
Benno Voit, ehemals LfL, Nicole Chaluppa und Dr. Berta Killermann, LfL, Freising
Weniger Wirkstoffe und mehr Auflagen
Der fortschreitende Wirkstoffwegfall betrifft auch die Getreidebeizen. Gab es 2012 noch 19 verschiedene Wirkstoffe in Getreidebeizmitteln, waren es 2021 nur noch zehn. Darüber hinaus gibt es in Deutschland auch bei fungiziden Getreidebeizen immer mehr Auflagen. Das betrifft Vorschriften zu Beizanlagen und zur Saat gebeizten Saatguts bei Wind. Die Anwendungsbestimmung NT699x schreibt vor, dass eine Beizung nur in Betrieben erfolgen darf, die zertifiziert und beim Julius Kühn-Institut (JKI) gelistet sind. Für die Zertifizierung muss eine entsprechende Beizqualität nach vorgegebenen Standards nachgewiesen werden. Die Anwendungsbestimmung NT715-x enthält Vorgaben zur Beizqualität des Saatguts (Heubach Aktiv Substanz) und ist damit an NT699x gekoppelt. Darüber hinaus soll die Anwendungsbestimmung NH681-x eine maximal zulässige Windgeschwindigkeit von < 5 m/s bei der Aussaat vorschreiben.
Alle drei Anwendungsbestimmungen sind schon seit Längerem geplant, wurden jedoch vom BVL aufgrund unterschiedlicher Umsetzungsschwierigkeiten bis zum 31. Mai 2022 ausgesetzt. Die Bestimmungen NT699x und NT715-x wurden nun zum 1. Juni 2022 »scharfgeschaltet«. Gleiches gilt wahrscheinlich für die Windauflage – so der Stand zu Redaktionsschluss. Wie die Landwirte letztere rechtssicher umsetzen sollen, ist allerdings noch völlig unklar.
Katrin Rutt, Redakteurin DLG-Mitteilungen