Saatgutrecht. Die Novelle nimmt die nächste Hürde
Was vor zehn Jahren unter dem Begriff Better Regulation gescheitert ist, hat die EU jetzt erneut in Angriff genommen: Eine grundlegende Überarbeitung der Saatgutgesetzgebung. Wo wir aktuell stehen und welche neuen Regeln diskutiert werden, sagt Christian Augsburger.
Herr Dr. Augsburger, wie weit sind die Verhandlungen in Brüssel bei der geplanten Novellierung des EU-Saatgutrechts?
Nachdem die Kommission im Juli letzten Jahres einen Reformvorschlag vorgelegt hat, ist nun das Parlament im April zu einem Beschluss gekommen. Dabei haben sich die Abgeordneten in groben Zügen hinter den Vorschlag der Kommission gestellt, in einigen wesentlichen Punkten liegen aber Änderungsanträge auf dem Tisch. Nun ist der Ministerrat an der Reihe. Gibt auch dieser grünes Licht, geht es nach der
Neukonstituierung der EU-Gremien vermutlich gegen Ende des Jahres mit den Trilogverhandlungen weiter.
Warum wird die Saatgutgesetzgebung denn überhaupt angefasst?
Man möchte damit vor allem eine Harmonisierung der bisherigen Regelungen erreichen. Viele Richtlinien gehen auf das Jahr 1966 zurück. Sie wurden zwar kontinuierlich angepasst. Dennoch gibt es aktuell zehn Richtlinien, die in eine Verordnung überführt werden sollen. Außerdem will man die übergeordneten politischen Ziele der EU, die im Green Deal bzw. der Farm to Fork-Strategie formuliert sind, im
Rahmen der neuen Gesetzgebung stärker berücksichtigen.
Welche Änderungen des Kommissionsvorschlags schlägt das Parlament vor?
Ein wesentlicher Aspekt ist, dass bestimmte Ausnahmeregelungen, welche die Kommission bereits vorgeschlagen hatte, zum Teil noch deutlich ausgedehnt wurden. Ein Beispiel ist hier der sogenannte Saatguttausch unter Landwirten. Dieser bezog sich im ursprünglichen Kommissionsvorschlag ganz spezifisch auf Saatgut, also Mähdruschfrüchte. Pflanzgut wie bei Kartoffeln war außen vor, weil dieses auch einen ganz anderen phytosanitären Status hat. Das Parlament will die Regelung zum Saatguttausch auf sämtliches Pflanzenvermehrungsmaterial ausdehnen und außerdem auch eine entgeltliche Abgabe zulassen.
Gilt das auch für geschützte Sorten?
Nein. Geschütztes Saat- und Pflanzgut wird auch in Zukunft geschützt bleiben. Wenn der Sortenschutz nach 20 Jahren allerdings ausgelaufen ist, können Landwirte im Grunde jedes Sortenmaterial untereinander tauschen. Das wird bei Getreide oder Raps sicher weniger eine Rolle spielen, weil die Halbwertszeit einer Sorte vergleichsweise kurz ist. Aber Kartoffeln beispielsweise halten sich recht lange am Markt – auch über die Zeit des Sortenschutzes hinaus.
Die Saatgutbranche übt viel Kritik an dieser geplanten Regelung. Warum?
Zum einen spielt hier der bereits angesprochene phytosanitäre Aspekt eine große Rolle. Letztendlich soll die Saatgutgesetzgebung ja dem Schutz der Verbraucher dienen. Grundsätzlich unterliegt auch der Saat- und Pflanzguttausch unter Landwirten phytosanitären Vorschriften. Eine Kontrolle ist jedoch schwer umsetzbar, da eine Anmeldung zur Saatgutanerkennung wie im regulierten Saatgutbereich nicht vorgesehen ist. Damit sind Abgrenzungsprobleme zum professionellen Sektor zu erwarten und Parallelmärkte zu befürchten.
Sind denn Kontrollen vorgesehen?
Nein, bisher sind für derartiges Material keine hoheitlichen Kontrollen vorgesehen. Eben weil es von den sogenannten Unternehmerpflichten im neuen Saatgutrecht ausgenommen werden soll.
Soll es im Rahmen der Sortenzulassung auch neue Regelungen geben?
Nein, im Wesentlichen nicht. Es wird auch weiterhin Registerprüfungen, Wertprüfungen und eine amtliche Zulassung geben. Der Nachhaltigkeitsaspekt soll aber bei den Eigenschaften neuer Sorten in den Wertprüfungen stärker berücksichtigt werden als bisher. Allerdings sind auch hier Ausnahmeregelungen vorgesehen. Und zwar für sogenannte Erhaltungssorten und heterogenes Material. Auch damit sind natürlich gewisse Risiken verbunden.
Welche sind das?
Zum einen besteht auch hier die Gefahr, dass sich Parallelmärkte entwickeln. Wenn beispielsweise eine Sorte die Zulassung nicht schafft, könnte sie der Züchter theoretisch dennoch vermarkten. Oder er meldet sie gar nicht erst zur Zulassung an. Immerhin ist der Prozess sehr kostenintensiv. All das wiederum könnte unter Umständen die Züchtungsinnovationen gefährden.
Die Kommission hat auch vorgeschlagen, das Saatgutrecht in die Kontrollverordnung einzubeziehen. Was bedeutet das?
Die Kontrollverordnung gilt nicht für einen bestimmten Rechtsbereich, sondern z. B. auch für Lebens- und Futtermittel. Bei Saatgut gibt es jedoch schon seit langem spezifische amtliche Kontrollen bei der Anerkennung. Der Unterschied ist, dass die Kontroll-VO zusätzliche Kontrollen bei den Behörden und Unternehmen vorsieht. Das erhöht den bürokratischen Aufwand, wodurch vermutlich auch die Saatgutkosten steigen. Entscheidend ist aber vor allem, dass die Kontroll-VO im Grundsatz nur risikobasierte Kontrollen vorsieht und keine vorsorglichen. Damit könnte die mehrstufige, lückenlose Überwachung, die heute bei jeder Saatgutpartie gewährleistet ist, künftig auf der Kippe stehen.
Die Fragen stellte Katrin Rutt