Diesel tankenk

»Wir sind auf dem Weg in eine strukturelle Knappheit«

 

Die Preise für Diesel streben den alten Höhen aus dem Sommer 2022 entgegen. Wir haben Joe DeLaura gefragt, mit welchen Entwicklungen wir rechnen müssen.

 

Herr DeLaura, warum ist Diesel bei uns so teuer?

Das Hauptproblem für europäischen Diesel im Sommer war die Austrocknung des Rheins, die den Zufluss aus wichtigen deutschen Raffinerien verringerte, sowie längere ungeplante Ausfälle in französischen Raffinerien. Die USA sind jetzt der Hauptdiesellieferant der EU. Früher war es in Herbst und Winter genau umgekehrt: Die EU belieferte die US-Atlantikküste mit Diesel. Diese Entwicklung trägt wesentlich dazu bei, dass die Lagerbestände weiterhin sinken oder sich bestenfalls nicht wieder auf das Niveau der vergangenen Jahre erholen.

Aber das ist ja nur temporär. Der Rheinpegel ist doch sicher nicht dauerhaft ein Maß für den Dieselpreis?

Natürlich nicht. Ich sehe die marktentscheidenden Faktoren an anderer Stelle. Da ist zum einen die weltweite Angst vor einer Rezession, die den Preis drückt. Auf der anderen Seite hält Saudi-Arabien mit Produktionskürzungen den Preis für Rohöl hoch. Um es in eine Zahl zu gießen: Ich denke, wir können noch dieses Jahr die 100 US-$/Fass-Marke für Brent Öl knacken und im ersten Quartal 2024 auf diesem Niveau bleiben.

Hat der Krieg in Israel und im Gazastreifen längerfristig Auswirkungen auf den Preis?

Israel und der Gazastreifen spielen im Hinblick auf die Energiemärkte größtenteils eine verschwindend geringe Rolle. Weder Israel noch die palästinensischen Gebiete verfügen über eine nennenswerte Ölproduktion. Wenn der Konflikt nicht weiter ausufert, werden sich die Energiemärkte schnell anpassen. Bedeutung erhielte der Konflikt erst dann, wenn der Suez-Kanal blockiert würde. Durch den gehen 4,5 % des weltweiten Rohöls, 9 % der raffinierten Produkte und es passieren ihn 8 % der LNGTanker. Darüber hinaus verläuft die SUMED-Pipeline parallel zum Kanal und transportiert etwa 80 % des aus dem Nahen Osten nach Europa verschifften Öls.

Welche Rolle spielt die Inflation für den Preis?

Indirekt eine sehr entscheidende. Im Kampf gegen die Inflation erhöhen die Zentralbanken ihre Zinsen. Das macht Kapital teuer und damit auch Investitionen in die Rohöl- und Gasförderung. Schon heute investieren Ölfirmen kaum noch in neue Ölfelder oder Bohrlöcher. Die Raffinerien in den USA und der EU bauen gezielt Kapazitäten ab, auch wegen der politischen Ausrichtung auf erneuerbare Energien. Noch gewinnen die USA mit 13 Mio. Fass täglich so viel Öl wie nie. Aber ohne neue Bohrlöcher wird diese Menge schnell sinken. Neue Bohrlöcher haben typischerweise einen Förderrückgang von 60 % im ersten Jahr.

Damit wird also nicht nur die Abhängigkeit von Rohöl-, sondern auch von Destillatimporten in die EU wachsen.

Genau. Und das spielt Russland und den OPEC-Ländern in die Hände. Die Ölförderung wird in der absehbaren Zukunft den Bedarf nicht decken können. Preisrückgänge werden daher allenfalls kurzfristiger Natur sein. Erst wenn der Bedarf an Diesel beziehungsweise Heizöl und Benzin in den 2030 er Jahren sinken wird, werden auch die Preise fallen. Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg.

Joe DeLaura (RaboBank)
Joe DeLaura ist Analyst für Öl- und Energiemärkte der RaboBank in London. (Foto: RaboBank)
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