Bürokratie. Bitte etwas weniger davon
Weniger und weniger komplizierte Gesetze sind das eine. Warum Deutschland unter zu viel Bürokratie leidet, liegt aber zu einem großen Teil an den Bürokraten selbst. Die trauen sich zu wenig, weil sie einseitig ausgebildet werden, sagen zwei Top-Juristen.
Die Bürokratie ist eine Gefahr für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Das hat zuletzt (Ende 2023) der Nationale Normenkontrollrat formuliert. Diskutiert wird das Thema schon seit Jahren. Aber warum ändert sich nichts, ja wird vieles (real oder gefühlt) immer schlimmer?
In einem – wie ich finde bemerkenswerten – Beitrag in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ haben das jetzt zwei Juraprofessoren, Jörg Bogumil und Andreas Vosskuhle (vormals Präsident des Bundesverfassungsgerichts) auseinandergenommen. Für sie sind drei Punkte entscheidend: eine immer stärkere Regelungsdichte, die zunehmende Kompliziertheit der Normen sowie eine von Absicherungs- und Zuständigkeitsdenken geprägte Verwaltungspraxis.
Die Regelungsdichte. Ein wesentlicher Grund sind Vorgaben der EU, die umzusetzen sind. Daneben greift die Politik immer häufiger Wünsche von Interessengruppen auf. Soweit dabei Interessen anderer leiden, müssen auch dafür Regelungen gefunden werden bis hin zur Einzelfallgerechtigkeit. Weil der Anspruch auf Perfektion besteht, muss auch alles fleißig dokumentiert werden. Der Vorschlag der beiden Professoren: versuchen, die Ziele nicht perfekt, aber doch weitgehend zu erreichen. Die Mittel dazu könnten die Abschaffung unnötiger Informations- und Erfüllungsaufwände sein, mehr Pauschalierungen sowie Bagatellgrenzen, Stichtagsregelungen und Genehmigungsfiktionen. Natürlich auch Digitalisierung und überhaupt alles, um komplexe oder unnötige Verfahren möglichst zu vermeiden.
Die komplizierten Normen. Fachliche Normen werden von Fachleuten geschrieben, die Vereinfachungen scheuen und sich wenig Gedanken darüber machen, wie sie in der Praxis umzusetzen sind. Zum „vollzugsorientierten Handeln“ gibt es das Instrument des Praxischecks vor der Verabschiedung von Regulierungen, das aber aktuell auf Bundesebene nur im Ausnahmefall und auf Länderebene überhaupt nicht angewendet wird.
Der Umgang mit Regeln. In den Augen der beiden Juristen ein Punkt, der bisher kaum beachtet werde. In den Augen von Landwirten eine regelmäßig wiederkehrende Erfahrung. Schwerfälliges Arbeiten, Koordinationsprobleme zwischen Behörden, mangelnde Dienstleistungsorientierung, übertriebene Formalisierung und Hierarchisierung, teilweise auch Personalmangel: Offenbar ruhen weite Teile der Verwaltung in sich selbst. Fast noch schlimmer ist das verbreitete Sicherheitsdenken: Was, wenn der Rechnungshof einschreitet oder ein Verwaltungsgericht eine Entscheidung wieder aufhebt? Ursache dafür sei die gerade in Deutschland stark von Juristen geprägte Verwaltung und die auf die Rechtanwendung fixierte Verwaltungsausbildung. Hier sehen die Autoren auch den Schlüssel für Veränderungen. Verwaltungsmitarbeitern dürfe es nicht nur um Rechtssicherheit gehen, sondern um die „Nutzung von Ermessensspielräumen und die Ermöglichung rechtskonformer Lösungen“.
Das Fazit der Professoren: Weg von der Misstrauensverwaltung, hin zu mehr Vertrauen und damit weniger Bürokratie. Mein Fazit: Auch wenn sich über Nacht nichts ändern wird, bietet eine Analyse wie diese die Chance, über den Ärger hinaus die Ursachen zu verstehen und damit konkrete Verbesserungen jenseits des Stammtisches einzufordern. Vielleicht fragen Sie ja (mit Verweis auf diesen Beitrag) das nächste Mal den InVeKoS-Sachbearbeiter mal ganz naiv-konkret nach seinen Ermessensspielraum?