Der Betrug mit HVO ist offensichtlich
Seit Jahresbeginn kommen hydrierte Pflanzenöle (HVO) aus dubiosen Quellen zu uns: Palmölreste aus Ölmühlen, Altspeisefette oder undeklarierte Ware. In jedem Fall ist China involviert – und meist scheint es sich um eine Umdeklarierung von Palmöl zu handeln.
Bei Biodiesel lässt sich die EU durch China schon länger über den Tisch ziehen. Aber seit Jahresbeginn haben die Betrugsfälle ein Ausmaß erreicht, das speziell für den deutschen Biodieselmarkt und damit für die Preise von Raps – indirekt auch für Getreide – massive Auswirkungen hat. Dem Betrug sind Tür und Tor geöffnet, und weder Bundesregierung noch EU-Kommission scheinen ein Interesse daran zu haben, dies zu unterbinden.
Um zu verstehen, wie der Betrug läuft, muss man sich zunächst die sehr komplexen Grundzüge des Biokraftstoffmarktes vor Augen führen. In der RED II-Richtlinie (alle Abkürzungen sind im Kasten erklärt) ist festgelegt, dass alle EU-Länder den Anteil von Biokraftstoffen erhöhen und den Ausstoß von Treibhausgasen (THG) im Verkehr senken müssen. Für 2023 sieht die Richtlinie 8 % Minderung vor. Wie die Länder dies erreichen, ist deren Sache.
In jedem EU-Land gibt es unterschiedliche Regelungen. Unterschieden wird dabei zwischen konventionellen Rohstoffquellen (etwa Rapsöl) und fortschrittlichen Quellen (etwa Bioethanol aus Holzabfällen, das machen vor allem die Finnen, die viele Holzwerke haben). Neben den konventionellen Rohstoffen und fortschrittlichen Rohstoffquellen gibt es dabei die Kategorie der Altspeisefette (UCO). Die einen höheren THG-Minderungswert als Biodiesel besitzen, denn der Rohstoff ist ja bereits vorhanden, zur Produktion auf dem Feld muss keine zusätzliche Energie aufgewendet werden und es entstehen dabei auch keine Emissionen wie etwa Lachgase. Und auch beim Biodiesel aus Raps gibt es länderspezifische THG-Minderungswerte. Es gibt einen Basiswert, der etwa für Rapsimporte aus der Ukraine gilt, sowie länder- und regionalspezifische Werte. Rapsbiodiesel aus französischem Raps etwa hat eine höhere THG-Einsparung als deutscher Raps, weil die Franzosen die CO2-Bindung im Boden berücksichtigen und somit auf geringere Emissionen im Anbau kommen.
Länderspezifisch sind auch Doppelanrechnungen. Fortschrittliche Biokraftstoffe, dazu zählt in Deutschland vor allem Hydriertes Pflanzenöl (HVO), werden jenseits einer Unterquote (aktuell sind das 0,3 % des gesamten Energieverbrauches im Kraftstoffmarkt) doppelt angerechnet. Das bedeutet, dass die Mineralölfirma als Inverkehrbringer im Vergleich zum Rapsbiodiesel weniger als die Hälfte an HVO dem Mineraldiesel beimischen muss, um die Vorgaben zu erfüllen.
Je mehr HVO Shell, BP und andere also dem Biodiesel beimischen, desto weniger biogene Kraftstoffe benötigen sie am Ende. Noch besser: Sie müssen gar nicht den Biokraftstoff einmischen, der auf dem Zertifikat steht. So kann HVO beispielsweise in Spanien zum Diesel beigemischt, das Zertifikat aber in Deutschland angerechnet werden. Es gibt einen freien Zertifikatehandel innerhalb der EU und es muss nur die auf dem Zertifikat angegebene Menge einfließen, das kann dann auch Rapsbiodiesel sein.
Die Konsequenz liegt auf der Hand: Unabhängig von der tatsächlichen Beimischung werden die Zertifikate dort angemeldet, wo sie den Mineralölfirmen den größten Nutzen bringen. Und das ist wegen der Doppelanrechnung bei HVO oder anderen fortschrittlichen Kraftstoffen vor allem Deutschland. Die Zertifikate können auch in das nächste Jahr geschoben werden. Daher kommt in diesem Jahr auch weit mehr HVO nach Deutschland als für die THGQuote benötigt wird. Wir schieben also schon für das kommende Jahr einen Vorrat vor uns her. Andere EU-Länder (wie Frankreich) kennen die Doppelanrechnung nicht. Dort ist HVO nicht mehr wert als Rapsbiodiesel. Die Konsequenz: Importe aus China (oder wenigstens deren Zertifikate) gelangen fast ausschließlich nach Deutschland.
Verwirrende Abkürzungen
Wenn man den Markt für Biokraftstoffe beschreiben will, dann kommt man um eine Fülle von Fachworten und vor allem Abkürzungen nicht herum. Das sind die wichtigsten:
- RED II. RED steht für »Renewable Energy Directive«. RED II ist die aktuelle Version, die von jedem EU-Land umgesetzt wurde, jedoch in unterschiedlicher Weise. Das ist bei einer Richtlinie im Gegensatz zu einer EU-Verordnung (die gilt unmittelbar in jedem Land) so vorgesehen.
- HVO. »Hydrogenated Vegetable Oils« – Bei diesem Verfahren werden Pflanzenöle chemisch zu Diesel umgewandelt. Da es sich nicht wie beim Biodiesel um eine einfache Umesterung handelt, ist das Ausgangsprodukt analytisch nicht erkennbar.
- UCO. »Used Cocking Oil«, auf Deutsch: Altspeisefett. Das sind die Reste etwa aus Frittierfett oder anderen Küchenfetten.
- POME. »Palm Oil Millers Effluent« – das ist Palmöl, das aus Ölmühlenabwässern herausgefiltert wird. Chemisch sind POME nichts anderes als Palmöl.
- RIN. »Renewable Identification Numer« – das ist das Biotreibstoffzertifikat in den USA.
- THG-Minderungsquote. Die Treibhausgasminderungsquote setzt fest, wie viel Treibhausgase im Kraftstoff durch erneuerbare Energieträger (etwa Biodiesel) eingespart werden müssen. Derzeit sind das 8 %.
Und so funktioniert der Betrug. Weil Palmöl als Rohstoff für Biodiesel seit Januar nicht mehr auf die deutsche THG-Quote angerechnet werden kann, sind die indonesischen und malaysischen Ölmühlen natürlich daran interessiert, ihr Palmöl den Europäern auf andere Weise in den Biodiesel »unterzujubeln«. Der Weg führt dabei über China, das noch nie Probleme mit der Umdeklaration von Waren hatte. Palmöl oder HVO aus Palmöl geht nach China, wird dort entweder hydriert (Palmöl) oder einfach wieder reexportiert und zwar als HVO aus Altspeisefetten oder als Ölmühlenabwasser (POME).
3 Mio. t HVO, Biodiesel und Altspeisefett kommen aus China. Damit kann das Palmöl nicht nur im EU-Biodiesel eingesetzt werden, es ist auch noch mehr doppelt so viel wert wie Rapsbiodiesel. In die gesamte EU exportiert China 200 000 t HVO, 800 000 t UCO und 2 Mio. t UCO-Biodiesel. Käufer sind BP, Shell und andere Mineralölunternehmen, die damit nicht nur günstig ihre THG-Quotenverpflichtungen
erfüllen, sondern zugleich auch wenig physisch beimischen müssen und mehr billigen Mineraldiesel einsetzen können.
Wenn aus China mehr HVO angeblich aus Abwässern von Palmölmühlen kommen, als in den Anbauländern Indonesien und Malaysia überhaupt entstehen, dann riecht das nach Betrug. Und wenn aus China plötzlich enorme Mengen fortschrittlichen Biodiesels aus UCO kommen, kurz nachdem Deutschland diesen Rohstoff als fortschrittlich anerkannte, und dies auch noch zu extrem niedrigen Preisen, dann riecht das ebenfalls nach Betrug. Wie auch immer man den Markt für HVO betrachtet: China ist involviert und die Herkunft ist nicht nachvollziehbar.
Wer will den Audits in China Glauben schenken? Natürlich sind UCO und HVO aus China zertifiziert. Aber auch da lohnt ein Blick hinter die Kulissen. Es gibt in der EU nur einen Zertifizierer, der für HVO in China zugelassen ist, die ISCC in Köln, also eine deutsche Firma. Die Audits in China werden aber von Chinesen durchgeführt. Eine Kontrolle durch eine europäische Aufsicht wie die BLE in Deutschland ist jedoch nicht erlaubt.
Wenn man dann noch weiß, dass Schiffe aus Indonesien erst einmal chinesische Häfen anlaufen und von dort nach kurzem Aufenthalt
Richtung Europa in See stechen (das lässt sich über Satelliten leicht nachvollziehen und ist im Internet auch für jedermann verfügbar) kann man erahnen, dass da nicht alles mit rechten Dingen zugeht. Das gilt nicht nur für HVO aus fortschrittlichen Quellen, sondern auch für
Altspeisefett aus China. Warum nicht dieses aus Kantinen einsammeln, Palmöl dazumischen und auf diese Art mit Palmfett angereichertes UCO (oder HVO daraus) nach Europa verkaufen?
Wie lässt sich der Betrug stoppen?
Der Verband der deutschen Biokraftstoffindustrie schlägt vor, die Doppelanrechnung für Biokraftstoffe aus Ländern, die keine Kontrolle durch deutsche oder europäische Behörden zulassen, abzuschaffen. Das würde sicher nicht jeden Betrug verhindern können, wäre aber erst mal eine Hürde. Oder man folgt dem Vorgehen Österreichs. Das verlangt von jeder Anlage, aus der Biokraftstoffe nach Österreich geliefert werden, eine Akkreditierung. Das kennen wir in Deutschland nicht. Am Ende ist es eine Sache des politischen Willens. Die BLE als Kontrollbehörde in Deutschland sieht sich für Kontrollen im Ausland nicht in der Pflicht. Die Bundesregierung mag nicht handeln und verweist auf die Zuständigkeit der EU. Brüssel verlässt sich auf die Zertifizierer und verweigert Maßnahmen, solange keine Beweise für einen Betrug vorliegen. Die kann es aber so lange nicht geben, wie niemand nach China fahren darf. Und damit wäre der Kreis geschlossen. Es scheint, als wollten sich die politisch Verantwortlichen in Berlin und Brüssel in diesem Punkt nicht mit China anlegen.
Auch aus den USA bekommen wir HVO geliefert – und verschiffen im Gegenzug Biodiesel aus Raps dorthin zurück. Dieses Jahr sind das 350.000 t. Die US-Zertifikate gelten zwar als korrekt. Aber es lohnt sich dennoch, denn die USA kennen nur RIN (das sind die US-THG Bescheinigungen) und haben keine Doppelanrechnung. Den USA ist der Rohstoff egal, aber bei uns ist er auf dem Papier mehr wert.
Künftig könnte das Geschäft für die Mineralölfirmen noch attraktiver werden. Der Entwurf für die neue Bundes-Immissionsschutzverordnung (BImSch) sieht nämlich vor, dass Erdölraffinerien künftig auch biogene Rohstoffe in den Raffinationsprozess
einfließen lassen können. Also vereinfacht gesagt: Erdöl + Rapsöl ergibt fertigen Diesel. Eine Beimischung ist dann erst gar nicht mehr nötig. Aber zugelassen ist nicht Rapsöl, sondern nur Rohstoffe aus »fortschrittlichen« Quellen, also Abfallstoffe. Damit haben die Chinesen noch einen weiteren, kaum zu kontrollierenden Zugang zum deutschen Biodieselmarkt.
Um eine Größenordnung zu geben: Im Juni 2022 kosteten Zertifikate für 1 t THG-Einsparung 480 € (derzeit sind es noch etwa 120 €). Der Preisverfall resultiert aus dem Überschuss an Zertifikaten durch die immensen Importe. Aber verloren gehen die nicht, denn sie können ja ins nächste Jahr geschoben werden. Wenn mit 1 Mio. t HVO-Diesel die doppelte Menge an Einsparung angerechnet werden kann, dann ergeben sich schnell große Beträge. Fachleute beziffern das Geschäft auf einen mittleren dreistelligen Millionenbetrag, den sich vor allem die Mineralölfirmen einverleiben, aber von dem auch die Ölmühlen in Malaysia und Indonesien sowie natürlich die Chinesen profitieren. Der Preisverfall der Zertifikate verschlechtert zwar die Rechnung für die Mineralölfirmen und die Chinesen, aber selbst bei einem Zertifikatepreis von 0 €/t bliebe HVO aus fortschrittlichen Quellen interessant, weil es doppelt angerechnet werden kann.
Die Importe aus China setzen den Rapsmarkt unter Druck. In der EU werden etwa 9 Mio. t Rapsöl erzeugt. Etwa 6 Mio. t davon gingen bislang in den Biodiesel. Wenn davon 3 Mio. t durch zweifelhafte Importe aus China physisch ersetzt werden, die als Zertifikat wegen der Doppelanrechnung 3,4 Mio. t entsprechen, dann fehlt der Absatz für diese Menge an Rüböl.
Das muss als Speiseöl vermarktet werden und trifft in Europa auf einen mit Sonnenblumenöl übersättigten Markt. Also bleibt nur der Export (zum Beispiel nach Mexiko). Damit sinken die Margen der Ölmühlen und somit der Rapspreis. Bislang gab es noch Entlastung aus Argentinien, das zollfrei 1,2 Mio. t Sojadiesel in die EU liefern darf. Wegen der schlechten argentinischen Sojaernte kam davon aber praktisch nichts. In diesem Winter steht eine normale Ernte in Argentinien an. Das bedeutet, dass die 1,2 Mio. t kommen werden.