Portrait. Auf dem Weg zur idealen Technik
Weniger gute Standorte sind umso bessere Nährböden für Innovationen. Das gilt auch für Andreas Dörr und seinen »durchdigitalisierten« Betrieb in der Rhön. Was ist da beim Pflanzenschutz realisierbar – und sinnvoll?
Präzises Spritzen ist sicherlich auch ohne digitale Anwendungen möglich. Aber wenn diese sicher funktionieren, lassen sich Vorteile realisieren, von denen die Mehrzahl der Betriebsleiter derzeit nur träumen kann: Maschinen vernetzen, Anwendungen über Karten steuern, feste Fahrspuren (Controlled Traffic) und Künstliche Intelligenz nutzen, eigene Apps für bessere Betriebsabläufe entwickeln oder
quasi einen »digitalen Zwilling« des Betriebes aufbauen, also ein 3-D-Modell für die bessere Übersicht – mit solchen Themen hat sich der 40-jährige Landwirt Andreas Dörr in der Digital-Szene und darüber hinaus einen Namen gemacht. Honoriert wurde dies etwa mit »Silber« beim Bayerischen Digitalpreis 2023.
Beobachten und entscheiden. Zusammen mit seinem Vater und vier Mitarbeitern bewirtschaftet Dörr einen Betrieb an zwei Standorten in der thüringischen und bayerischen Rhön. 950 ha Acker- und 450 ha Grünland (das Heu wird verkauft) mit einer Entfernung von ca. 30 km kleiner Landstraßen zwischen Wasungen-Oepfershausen und Ostheim vor der Rhön stellen nicht nur hohe Anforderungen an die Logistik, sondern auch an die Beobachtung der Bestände und die Entscheidungsfindung im Pflanzenschutz. So überrascht es nicht, wenn der Landwirt sehr bald das Gespräch auf digitale und KI-Lösungen bringt. »Unsere Flächen liegen bis zu 45 km auseinander. Richtig hilfreich ist in dieser Situation die digitale Gelbschale«. 2023 habe er keinen einzigen der 240 ha Raps im Frühjahr mit Insektiziden behandeln müssen, 2024 nur 40 ha, weil die Schadschwellen nicht überschritten wurden, das Monitoring aber genauer und effizienter stattgefunden
hat. Das ist eine starke Antwort auf die immer noch übliche »Versicherungsstrategie« von Betrieben mit wenig Zeit und Schlagkraft. Konsequent auf allen Winterweizen- und Wintergersteflächen nutzt Dörr die Fungizid-Empfehlungen des Anbieters Xarvio als Basis für die Entscheidungen der Mitarbeiter vor Ort. Seine Begründung: ein immer dünneres Beratungsangebot, knappe Zeitfenster und die zunehmende Unübersichtlichkeit rechtlicher Vorgaben. Ganz kritikfrei läuft dieses System aber auch noch nicht. Die BBCH-Stadien
stimmten im anspruchsvollen Frühjahr 2024 nicht immer, und der Datenaustausch mit den Traktorterminals sei noch nicht auf dem Stand, den man sich wünsche.
Auf der anderen Seite bekomme man mit der Flatrate im Zweifel das besser formulierte Produkt und spare sogar Geld im Vergleich zum individuellen Einkauf. Ein Vergleich zu »betriebsüblich« und der Empfehlung einer privaten Beratungsgesellschaft hat vor allem gezeigt, dass die digitale Empfehlung teilweise andere Termine vorschlägt. In einem Jahr war die Empfehlung z. B. deutlich später als die
betriebsübliche. Eine spätere Behandlung bedeutet dann einen längeren Schutz »nach hinten«. Üblich sind auf diesen Standorten zwei Fungizidspritzungen.
PWM ... Was die Präzision angeht, ist Andreas Dörr ein großer Freund der Pulsweitenmodulation (PWM). Mit dieser Technik bleibt die Tröpfchengröße auch bei unterschiedlicher Geschwindigkeit konstant. Applikationskarten können damit auch bei unterschiedlicher Dosierung »vernünftig« abgearbeitet werden. Das Tropfenspektrum lässt sich dem Wind anpassen; ohne Wind sind auch 16 km/h möglich. Bei auffrischendem Wind wird der Druck vermindert, die Tropfen werden bei gleicher Geschwindigkeit größer. Auch hat Dörr manche seiner Felder über einen Weg hinweg zusammengelegt und überfährt diesen als Sperrflächen: »Ohne PWM fährt man mit 5 km/h drüber und hat danach anfangs kaum Spritzdruck. Mit PWM bleibt der Druck immer konstant«. Auch wenn Dörr versucht, gerade Fahrgassen und wenige Wendestellen anzulegen, so schätzt er doch an der PWM auch die Kurvenkompensation. Die Dosierung werde gleichmäßiger, man »züchte« keinen resistenten Ackerfuchsschwanz.
... und was sonst? Nun kommt PWM sicherlich nicht für jeden Landwirt infrage. Aber was ist beim Spritzen technisch besonders wichtig, was sollte eine moderne Spritze heute mitbringen? Interessant ist, dass Dörr seine Aufzählung nicht mit dem Pflanzenschutzgerät beginnt: Auf jeden Fall brauche es ein gutes Lenksystem, auch um nachts bei optimalen Spritzbedingungen sicher fahren zu können. Sehr
wichtig sei dann neben Section Control die Gestängestabilität, insbesondere eine horizontale Schwingungstilgung. Hier habe er die Erfahrung gemacht, dass angehängte Spritzen gegenüber dem Selbstfahrer einen Pluspunkt mitbringen, denn bei Letzterem übertragen sich Lenkbewegungen unmittelbarer auf das Gestänge. Das optimale Zeitfenster für die Spritzung spiele überdies eine Rolle, also Thermik,
Lufttemperatur und auch Bienenflug. Die Maßnahmen möchte Dörr gerne automatisch dokumentieren: nicht nur durch Datenaustausch
auf das Fahrzeug, sondern auch das Rückspiegeln der geleisteten Maßnahmen. Die Möglichkeit kleiner Teilbreiten sei immer von Vorteil, vor allem im Hinblick auf Überlappungen bzw. der Gefahr von Doppeldosierungen z. B. von Wachstumsreglern. Mehrfachdüsenkörper
seien zwar eine sinnvolle Erfindung, aber PWM ist dem Landwirt doch lieber: Da könne er zwischen 4 und 17 km/h mit einer Düse alles fahren.
Fragezeichen und Wünsche. Ein geschlossenes Befüllsystem hat Andreas Dörr bereits erprobt. Hier gebe es aber noch offene Fragen zum Pamira-Sammelsystem. Ein von Geschwindigkeit und Richtung unabhängiger Windmesser, der aktiv das Tröpfchenspektrum anpasst,
steht ebenfalls auf der Wunschliste. Für unausgereift hält Dörr das Thema Spot Spraying. Er denkt dabei zunächst an das Erfassen von Unkräutern mittels Drohnen, hält dieses Verfahren aber nicht für besonders praxistauglich, da zu aufwendig: Man müsse sich vor der Behandlung einen Dienstleister suchen, Termine machen und Daten austauschen. Direkteinspeisungssysteme mit Kamerasensorik
wiederum seien zu träge oder wüssten nicht im Voraus, welche Mittel benötigt werden. »Die Realität ist doch: Beim Düngerstreuen meldet der Fahrer Kamille, etwas hier, etwas dort. Aber ist sie auch bekämpfungswürdig?« Man könne doch vielleicht die Unkräuter bei jeder Überfahrt mit der Spritze mit den Kameras erfassen. Diese Zonen oder Spots lassen sich dann gezielt anfahren und behandeln. Im Lauf der Zeit erhält man damit viele Daten, die wiederum für Vorhersagemodelle dienen könnten. Das ist Zukunftsmusik – aber wer hätte vor ein paar Jahren gedacht, dass die Daten von elektronischen Gelbschalen als Frühwarnsystem für eine ganze Region infrage kommen?
Kommentar
Nicht verallgemeinern!
Praxisberichte wie dieser zeigen immer wieder: Es ist im Zusammenspiel von Ökonomie und Ökologie noch viel Luft nach oben – aber man kann nicht alle Betriebe über einen Kamm scheren. Jeder braucht seinen individuellen Zugang zum Ziel. Dazu nur zwei Beispiele.
Unbestritten trägt die neueste Technik (Teilbreiten, PWM) zu einem präziseren Pflanzenschutz bei. Warum hört man dann aber von vielen Betrieben, die im Zuge der »Bauernmilliarde« diese Technik zwar angeschafft haben, ihr Potential aber nicht nutzen? Das entwertet leider die Forderungen, Reduktionsziele über Investitionsbeihilfen zu erreichen. Nicht jeder Ackerbauer mit robustem Selbstbewusstsein wird der KI viel abgewinnen können: Kommen wirklich bessere Entscheidungen heraus, ist man selbst nicht mehr gut genug? Auch hier zählt der Einzelfall: Wer sich zusammen mit guten Beratern voll auf den Ackerbau konzentrieren kann, ist in einer anderen Situation als ein Tierhalter oder ein Betriebsleiter, der – aus welchen Gründen auch immer – die Bestände weniger intensiv beobachten kann, als er das möchte.
Thomas Preuße