Herr Prof. Schneider, faserreiches Beschäftigungsfutter hat mittlerweile eine zentrale Bedeutung, wenn es um Tierwohl im Schweinestall geht. Wieso ist das aus Ihrer Sicht ein zweischneidiges Schwert?
Weil es Zielkonflikte gibt. Die negativen Umweltwirkungen der Nährstoffausscheidungen aus der Schweinehaltung standen lange im Fokus. Im Zusammenhang mit faserreichem Beschäftigungsfutter für mehr Tierwohl hört man davon allerdings nur wenig. Es muss aber deutlich gesagt werden: Mehr Fasereinsatz in der Fütterung kann die Nährstoffbilanz der Schweinehaltung verschlechtern, da Beschäftigungsfutter auch Nährstoffe enthält. Es geht vor allem um N und P. Zudem ist auf Belastungen des Beschäftigungsfutters z. B. durch Mykotoxine zu achten.
Verschlechtert sich durch Beschäftigungsfutter die Leistung der Tiere?
Aufgrund der insgesamt geringen Menge an verbrauchtem Beschäftigungsfutter kommt es selten zu einer Hauptfutterverdrängung und Verschlechterung der Leistung. Das haben zahlreiche Versuche gezeigt. Beschäftigungsfutter führt zu einer insgesamt etwas höheren Gesamtfutteraufnahme und eben auch zu erhöhter Kotausscheidung. Das ist sogar der Fall, wenn die »Faser« in die Ration eingemischt wird und die Gesamtfutteraufnahme nicht ansteigt. Der Grund ist, dass Futtermittel, die als Beschäftigungsfutter eingesetzt werden, häufig wasserbindend sind und gleichzeitig die Passage des Nahrungsbreis beschleunigen. Letzteres führt wiederum zu reduzierter Wasserresorption und folglich erhöhter Kotmasse. Bei Faserfuttermitteln mit niedriger Wasserbindung wie z. B. Stroh kann auch eine veränderte Peristaltik diskutiert werden. Das Angebot von Beschäftigungsmaterial bzw. -futter führt somit zu einem erhöhten Nährstoffeintrag ins System. Dies muss bei Bilanzierungen berücksichtigt werden.
Geht es dabei nur um eine höhere Ausscheidung durch das Schwein?
Nein. Die Art der Vorlage von Beschäftigungsfutter ist entscheidend dafür, dass die Faser auch im Tier ankommt und nicht ungenutzt in der Gülle oder der Einstreu landet. Denn so wird nur die Bilanz verschlechtert – ohne einen Nutzen für das Tier. Wichtig ist daher, dass die angebotene Menge nicht zu hoch ist, damit die Verluste, die in den Wirtschaftsdüngern landen, begrenzt werden. Zudem können nicht verzehrte organische Beschäftigungsmaterialien bzw. -futter Probleme im Entmistungssystem verursachen, da dieses in der Regel nicht auf hohe Fasergehalte ausgelegt ist. Ich persönlich bin deshalb kein Freund von Bodenfütterung, sondern von Extratrögen, um das Beschäftigungsfutter technisiert in den Stall zu bekommen. Am Markt sind z. B. Körbe oder Tonnen verfügbar, welche automatisch mit Heu oder anderem Grobfutter befüllt werden. Die darunterliegenden Spalten müssen etwa mit Gummimatten im Holzrahmen abgedeckt werden, um den Eintrag in die Gülle zu verringern.
Wie unterscheiden sich verschiedene Beschäftigungsfutter im Effekt auf die Nährstoffbilanz eines Betriebes?
Während Luzerneheu oder -cobs hohe N-Gehalte aufweisen, ist Stroh N-arm. Grundsätzlich aber gilt: Mit steigenden Rohfasergehalten in der Ration nimmt insbesondere die Verdaulichkeit von Rohprotein kontinuierlich ab, sodass mehr Stickstoff ungenutzt ausgeschieden wird. Dies führt zu einer Verschlechterung der Stickstoffbilanz.
Sollte das Beschäftigungsmaterial bzw. -futter von außerhalb des Betriebes (Hof –Tor) zugeführt werden, erhöht dies den Nährstoffinput im Gesamtbetrieb und somit die Bilanzwerte in der Stoffstrombilanz. Hat ein Betrieb sowieso schon wenig Spielraum bei den Nährstoffen, können bereits geringe Mengen an zusätzlichem faserreichen Beschäftigungsfutter zum Nichteinhalten der Grenzwerte laut TA Luft führen. Dieser Verstoß kann zum Verlust der Betriebserlaubnis der Anlage führen. Insbesondere diese Betriebe müssen gut überlegen, welches faserreiche Material in welchen Mengen sie zusät
zlich als Beschäftigungsfutter in ihren Stall einbringen.
Was könnte ein solcher Betrieb denn als Beschäftigungsfutter sinnvoll einsetzen?
Hat der Betrieb im Bereich Phosphor Probleme, die maximal erlaubten Ausscheidungsmengen laut TA Luft einzuhalten, sind gerade Nebenprodukte aus dem Müllereigewerbe wie Kleien kritisch. Sie weisen hohe P-Gehalte auf. Hier sind Produkte wie Grascobs, Apfeltrester oder auch Trockenschnitzel zu empfehlen. Zudem wäre, wenn es technisch möglich ist, auch der Einsatz von Grobfuttersilagen wie beispielsweise Maissilage sinnvoll.
Müssen die geltenden Richtwerte zu Nährstoffausscheidungen erhöht werden, da ein höherer Rohfasergehalt durch Beschäftigungsfutter immer mehr zum Standard wird?
Nein, die z. B. von der DLG definierten Standardfütterungsverfahren haben sowohl beim N als auch P genug Reserve für passende faserreiche Beschäftigungsfutter. Durch den Einsatz intelligenter Fütterungskonzepte mit mehreren Fütterungsphasen, hohen Anteilen an kristallinen Aminosäuren und Phytase können die Ausscheidungswerte weiterhin eingehalten werden, vorausgesetzt der Futteraufwand passt.
Es wird viel davon gesprochen, vermehrt »besondere Faserfraktionen« in der Schweinefütterung einzusetzen. Was steckt dahinter?
Forderungen nach anderen Faserfraktionen wie aNDFom (aschefreie neutrale Detergentien-Faser) oder ADFom (aschefreie saure Detergentien-Faser) in Futterrationen für Schweine sind derzeit verfrüht. Systematisch erhobene wissenschaftliche Erkenntnisse zu deren Wirkung auf die tierische Leistung und das Tierwohl fehlen aktuell noch. Wir wissen gar nicht, wie viel und welche Faser das Schwein tatsächlich wann genau benötigt.
Und auch die Faserbewertungen steckt noch in den Kinderschuhen. Diskutiert werden beispielsweise die WHC (Wasserhaltekapazität), WBC (Wasserbindekapazität), Quellvermögen, BfS (Bakteriell fermentierbare Substanz) oder löslich und unlösliche TDF (totale Nahrungsfaser, Ballaststoffe). Die kürzliche Einführung von VDLUFA-Methodenvorschriften zur Bestimmung der WHC, WBC und des Quellvermögens gehen aber in die richtige Richtung. Auch hier benötigen wir noch systematische Versuche mit unterschiedlichen Rationsgehalten, um zu Versorgungsempfehlungen für die einzelnen Tierkategorien zu kommen.
Gibt es auch positive Effekte von Faserfütterung auf die Emissionen?
Ja, die Erhöhung der Faseraufnahme ist ein wichtiges Mittel, um die Ammoniak- und Geruchsemissionen zu reduzieren. Die N-Ausscheidung verschiebt sich vom Harn zum Kot. Das funktioniert mithilfe der Mikroben im Dickdarm. Sie können überschüssigen Stickstoff durch Fermentation so binden, dass dieser im Kot verbleibt, statt über Resorption aus dem Darm in das Blut zu gelangen und dann über die Nieren ausgeschieden zu werden. Die Arbeit der Mikroben lässt sich fördern, indem im Dickdarm mehr Energie zur Vermehrung zur Verfügung steht. Das ist etwa der Fall, wenn der Anteil an Nicht-Stärke-Polysacchariden in der Ration z. B. durch Trockenschnitzel erhöht wird. Stickstoff im Kot ist weniger flüchtig als im Harn, was geringere Ammoniakemission zur Folge hat.
Grundsätzlich gibt es natürlich noch weitere Ansätze in der Fütterung, Nährstoffausscheidungen aus der Schweineproduktion zu senken: An erster Stelle sind die Erhöhung der tierischen Leistung, der Phytaseeinsatz sowie die Verringerung der Rohproteinaufnahme zu nennen. Auch eine Absenkung des pH-Wertes von Harn und Kot mindert die Auswirkungen der Tierhaltung auf die Umwelt.
Der Anspruch an die Fütterung scheint zu wachsen ...
Ja, die Fütterung muss künftig immer mehr Aufgaben erfüllen: Zusätzlich zur bedarfsgerechten Versorgung, der Gesunderhaltung der Tiere und der Beachtung wirtschaftlicher Aspekte gewinnt das Wohlergehen der Tiere und die Schonung der Umwelt weiter an Bedeutung. Auch das Thema Teller, Trog oder Tank spielt eine zunehmend größere Rolle. Zielkonflikte zwischen Tierwohl, Ressourcenschutz, Umweltschutz und Ökonomie müssen klar angesprochen und gelöst werden. Bevor neue Richtlinien und Vorgaben für die Schweinehaltung beschlossen werden, brauchen wir fundierte wissenschaftliche Erkenntnisse sowie Praxiserfahrungen für eine realistische Bewertung.